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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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das da zwischen den beiden hin und her waberte, als er Xandras Knie drückte. Ich drehte mich nach vorn und schaute hinaus in das Niemandsland, das draußen vorbeirauschte: lang gestreckte, flache Gebäude, Bars und Karosseriewerkstätten, Parkplätze, die in der Morgenhitze flimmerten.
    » Weißt du, ich hab nichts gegen eine Sieben in der Flugnummer « , sagte Xandra leise. » Nur Achten machen mich fertig. «
    » Ja, aber die Acht ist eine Glückszahl in China. Sieh dir die internationale Ankunftstafel an, wenn wir in Vegas landen. Sämtliche Flüge aus Beijing? Acht acht acht. «
    » Du mit deiner Weisheit der Chinesen. «
    » Zahlenmuster. Alles Energie. Wo sich Himmel und Erde treffen. «
    »› Himmel und Erde ‹ . Wenn du das sagst, klingt es wie Magie. «
    » Ist es auch. «
    » Ach ja? «
    Sie tuschelten. Im Rückspiegel sahen ihre Gesichter albern aus und waren zu dicht beieinander. Als mir klar wurde, dass sie sich küssen würden (etwas, das mich immer noch schockierte, egal, wie oft ich sie dabei beobachtete), richtete ich den Blick starr geradeaus. Und plötzlich dachte ich, wenn ich nicht schon wüsste, wie meine Mutter gestorben war, würde mich keine Macht der Erde davon überzeugen können, dass diese beiden sie nicht ermordet hatten.
    IV
    Während wir auf unsere Bordkarten warteten, rechnete ich starr vor Angst dauernd damit, dass die Security an Ort und Stelle, in der Schlange am Check-in, meinen Koffer öffnete und das Bild entdeckte. Aber die mürrische Frau mit der Shag-Frisur, an deren Gesicht ich mich immer noch erinnere (ich hatte dafür gebetet, dass wir nicht zu ihr gehen müssten, wenn wir an der Reihe wären), würdigte meinen Koffer kaum eines Blickes, als sie ihn auf das Transportband wuchtete.
    Ich sah ihm nach, wie er wackelnd davonglitt, unbekannten Angestellten und Prozeduren entgegen, und im bunten Gedränge der Fremden fühlte ich mich gefangen und verängstigt– und auch auffällig, als ob alle mich anstarrten. Seit dem Tag, an dem meine Mutter gestorben war, hatte ich keine so dichte Menschenmenge mehr erlebt oder so viele Polizisten an einem Ort gesehen wie hier. Nationalgardisten mit Gewehren standen neben den Metalldetektoren, unbewegt in ihren Kampfanzügen, und ließen kalte Blicke über die Menge wandern.
    Rucksäcke, Aktenkoffer, Einkaufstaschen und Kinderwagen, wippende Köpfe überall in der Abflughalle, so weit das Auge reichte. Schlurfend bewegte ich mich in der Schlange vor der Sicherheitskontrolle voran, und dann hörte ich jemanden rufen– meinen Namen, dachte ich. Ich erstarrte.
    » Na los, los « , sagte mein Dad und versuchte, hinter mir auf einem Bein hüpfend seinen Slipper auszuziehen. Er stieß mir den Ellenbogen ins Kreuz. » Steh nicht so rum, du hältst den ganzen Betrieb auf! «
    Ich trat durch den Metalldetektor und schaute starr vor Angst auf den Teppich. Jeden Augenblick rechnete ich damit, dass sich eine Hand auf meine Schulter legte. Babys weinten. Alte Leute auf motorisierten Wägelchen tuckerten vorbei. Was würden sie mit miranstellen? Würde ich ihnen klarmachen können, dass es nicht ganz so war, wie es aussah? Ich stellte mir einen Raum mit Wändenaus Betonschalsteinen vor, wie im Kino– Türenschlagen, wütende Cops in Hemdsärmeln, vergiss es, du gehst nirgendwohin, Kleiner.
    Hinter der Kontrolle, im hallenden Korridor, hörte ich deutliche, zielstrebige Schritte dicht hinter mir. Wieder blieb ich stehen.
    » Jetzt erzähl mir nicht « , mein Dad sah sich um und verdrehte entnervt die Augen, » du hast was vergessen. «
    » Nein. « Ich warf einen Blick hinter mich. » Ich… « Da war niemand. Passagiere fluteten rechts und links an mir vorbei.
    » Mein Gott, er ist weiß wie ein Laken, verdammt « , stellte Xandra fest. Sie sah meinen Vater an. » Geht’s ihm nicht gut? «
    » Oh, der wird schon wieder « , sagte mein Vater und ging weiter. » Wenn er erst im Flugzeug sitzt. War eine harte Woche für alle Beteiligten. «
    » Scheiße, ich an seiner Stelle würde auch ausrasten, wenn ich ins Flugzeug steigen sollte « , befand Xandra unverblümt. » Nach dem, was er durchgemacht hat. «
    Mein Vater, der einen kleinen Rollkoffer hinter sich herzog, den meine Mutter ihm vor ein paar Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte, blieb wieder stehen.
    » Armer Junge « , sagte er, und sein mitfühlender Blick überraschte mich. » Du hast doch keine Angst, oder? «
    » Nein « , sagte ich viel zu schnell. Ich wollte niemandes Aufmerksamkeit

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