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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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ausdruckslosen Pause, obwohl ich das Wort noch nie gehört hatte.
    Sie tauchte einen Finger in das Getränk und leckte ihn ab. » Wir gehen oft in den Bakkarat-Salon im MGM Grand, ja? « , sagte sie. » Dein Dad notiert sich gern seine gespielten Partien. «
    » Kann ich mal mitkommen? «
    » Nein. Na ja, ich schätze, das könntest du vielleicht « , antwortete sie, als hätte ich nach einem Urlaubsprospekt für irgendeine instabile islamische Region gefragt. » Aber Kinder sind in den Casinos nicht gerade superwillkommen, weißt du? Eigentlich darfst du da nicht mitkommen und zusehen. «
    Na und, dachte ich. Irgendwo herumzustehen und Dad und Xandra beim Zocken zuzusehen, war nicht eben das, was ich mir unter Spaß vorstellte. Laut sagte ich: » Aber ich dachte, da gibt’s Tiger und Piratenschiffe und so was. «
    » Yeah, schön. Wahrscheinlich. « Sie streckte sich nach einem Glas auf dem Küchenbord und entblößte dabei ein Viereck mit chinesischen Schriftzeichen in blauer Tusche zwischen ihrem T-Shirt und der tief sitzenden Jeans. » Vor ein paar Jahren haben sie versucht, dieses ganze familienfreundliche Paket zu verkaufen. Hat aber nicht funktioniert. «
    IX
    Unter anderen Umständen hätte ich Xandra vielleicht gemocht– aber vermutlich könnte ich auch sagen, ich hätte den Jungen, der mich verprügelt hat, vielleicht gemocht, wenn er mich nicht verprügelt hätte. Sie war für mich der erste Hinweis darauf, dass Frauen über vierzig– Frauen, die zunächst nicht allzu toll aussahen– sexy sein konnten. Sie hatte zwar kein hübsches Gesicht (Glubschaugen, eine stumpfe kleine Nase, winzige Zähne), aber sie war noch gut in Form, sie trainierte, und ihre Arme und Beine waren von einem glänzenden Braun, das beinahe wie aufgesprüht aussah, als ob sie sich mit Unmengen von Cremes und Ölen einsalbte. Sie stakste auf ihren hohen Schuhen herum, ging aber schnell und zupfte dabei ständig an ihrem zu kurzen Rock, immer leicht nach vorne gebeugt, was sonderbar verlockend war. Auf einer gewissen Ebene fand ich sie abstoßend– ihre stotterige Stimme, ihr dickes, glänzendes Lipgloss, das aus einer Tube mit der Aufschrift » Lip Glass « kam, die zahlreichen Piercing-Löcher in ihren Ohren und die Lücke zwischen ihren Vorderzähnen, an der sie gern mit der Zunge herumspielte–, aber sie hatte auch etwas Heißblütiges, Erregendes, Toughes an sich, eine animalische Kraft, eine schnurrende, pirschende Anmutung, wenn sie die Plateauschuhe abgestreift hatte und barfuß herumlief.
    Vanilla-Coke, Vanille-Fettstift, Vanille-Diätdrinks, Wodka Stolichnaya Vanille. Wenn sie nicht arbeitete, kleidete sie sich wie eine aufgetakelte Tennis-Mom: kurze weiße Röcke und jede Menge Goldschmuck. Sogar ihre Tennisschuhe waren neu und blitzweiß. Beim Sonnenbaden am Pool trug sie einen weißen Häkel-Bikini, ihr Rücken war breit, aber mager, mit vielen Rippen, wie bei einem Mann ohne Hemd. » Oh-oh, Garderoben-Fehlfunktion « , sagte sie, wenn sie sich im Liegestuhl aufrichtete, ohne daran zu denken, ihr Bikini-Oberteil zuzuhaken, und dann sah ich, dass ihre Brüste so braun waren wie der ganze Rest.
    Sie sah gern Reality-Shows: Survivor, American Idol. Sie kaufte gern bei Intermix und Juicy Couture. Sie nannte ihre Freundin Courtney und » Lästerschwester « , und vieles, über das sie lästerte, drehte sich leider um mich. » Ist das zu fassen? « , hörte ich sie am Telefon sagen, als mein Dad mal nicht zu Hause war. » So war das nicht abgemacht. Ein Kind? Hallo?… Ja, es geht einem auf den Keks « , fuhr sie dann fort und zog träge an ihrer Marlboro Light. An der Glastür zum Pool blieb sie stehen und schaute hinunter auf ihre frisch lackierten, melonengrünen Zehennägel. » Nein « , sagte sie nach einer kurzen Pause. » Ich weiß nicht, für wie lange. Ich meine, was glaubt er denn, was ich denke? Ich bin doch keine verdammte Hausmami. «
    Ihre Klagen hörten sich immer gleich an, weder besonders aufgebracht noch übertrieben, aber es war schwer zu sagen, wie ich sie dazu bringen konnte, mich zu mögen. Bis dahin war ich immer davon ausgegangen, dass Frauen im Mütteralter es gern hatten, wenn man herumstand und versuchte, mit ihnen zu reden, aber bei Xandra, das lernte ich bald, war es besser, nicht herumzualbern oder mich allzu eingehend zu erkundigen, wie der Tag gewesen war, wenn sie schlecht gelaunt nach Hause kam. Manchmal, wenn wir beide allein waren, schaltete sie vom Sportkanal auf Lifetime um, und wir

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