Der Distelfink
Mrs. Swanson meinten, wenn sie sich über das Licht in der Wüste verbreiteten? Zu gern hatte sie von ihrem » Aufenthalt « – wie sie es nannte– in New Mexiko geschwärmt: ein weiter Horizont, ein endloser Himmel, spirituelle Klarheit. Aber durch irgendeinen Trick schien das Licht dieses Bild tatsächlich zu verwandeln, genau wie die dunklen Konturen der Wassertanks auf den Dächern, durch das Fenster meiner Mutter betrachtet, manchmal im Gewitterlicht eines späten Nachmittags ein paar seltsame Augenblicke lang wie vergoldet und elektrifiziert dastanden, kurz bevor ein sommerlicher Wolkenbruch losging.
» Theo? « Mein Dad klopfte energisch an die Tür. » Hast du Hunger? «
Ich stand auf. Hoffentlich würde er nicht versuchen hereinzukommen und feststellen, dass ich abgeschlossen hatte. Mein Zimmer war kahl wie eine Gefängniszelle, aber die Regalborde im Wandschrank reichten hoch, weit über die Augenhöhe meines Dads hinaus, und sie waren sehr tief.
» Ich hole uns was beim Chinesen. Willst du auch etwas? «
Würde mein Dad wissen, was für ein Bild es war, wenn er es sähe? Bis jetzt war ich nicht davon ausgegangen, aber als ich es in diesem Licht sah, als ich das Leuchten sah, das es zurückwarf, wurde mir klar, dass jeder Trottel es wissen würde. » Äh, ich komme sofort « , rief ich, und meine Stimme klang unecht und heiser. Ich schob das Bild in einen Kissenbezug und versteckte es unter dem Bett, bevor ich das Zimmer eilig verließ.
VII
In den Wochen, bevor in Las Vegas die Schule anfing, lungerte ich mit den Stöpseln meines iPods in den Ohren, aber mit abgeschaltetem Ton unten herum und erfuhr eine ganze Reihe von interessanten Tatsachen. Zunächst mal: Der frühere Job meines Dads hatte nicht annähernd so viele Geschäftsreisen nach Chicago und Phoenix erfordert, wie er uns hatte glauben machen. Ohne dass meine Mutter und ich etwas davon ahnten, war er in Wirklichkeit für ein paar Monate nach Las Vegas geflogen, und in Vegas– in einer asiatisch gestylten Bar im Bellagio– hatten er und Xandra sich kennengelernt. Sie trafen sich schon eine ganze Weile vor dem Verschwinden meines Dads, meiner Rechnung nach etwas mehr als ein Jahr, und ihren » Jahrestag « hatten sie nicht lange vor dem Tod meiner Mutter gefeiert, mit einem Essen im Delmonico Steakhouse und dem Bon-Jovi-Konzert im MGM Grand. (Bon Jovi! Es gab so viele Dinge, die ich zu gern meiner Mutter erzählt hätte– Tausende, wenn nicht Millionen–, aber es war schrecklich, dass sie diese irre komische Tatsache nun nie erfahren würde.)
Und noch etwas fand ich nach wenigen Tagen in dem Haus in der Desert End Road heraus: Was Xandra und mein Dad wirklich meinten, wenn sie sagten, mein Dad habe » mit dem Trinken aufgehört « , war, dass er von Scotch (dem Getränk seiner Wahl) auf Corona Light und Vicodin-Tabletten umgestiegen war. Ich hatte mich gewundert, wie oft das Friedenszeichen– oder war es V für Victory?– in allen möglichen unpassenden Situationen zwischen ihnen aufpoppte, und es wäre mir noch sehr viel länger ein Rätsel geblieben, wenn mein Dad nicht Xandra einmal ganz offen um eine Vicodin gebeten hätte, als er dachte, ich hörte nicht zu.
Über Vicodin wusste ich nur, dass eine wilde Filmschauspielerin, die ich gut fand, deswegen immer wieder in der Zeitung zu sehen war, wie sie aus ihrem Mercedes taumelte, während im Hintergrund das Blaulicht blitzte. Ein paar Tage später fand ich einen Plastikbeutel mit schätzungsweise dreihundert Pillen. Er lag auf der Küchentheke neben der Flasche Propecia, das mein Dad gegen Haarausfall benutzte, und einem Stapel unbezahlter Rechnungen. Xandra raffte den Beutel an sich und stopfte ihn in ihre Handtasche.
» Was ist das? « , fragte ich.
» Ähm– Vitamine. «
» Und warum sind sie in so einem Beutel? «
» Ich kriege sie von einem Bodybuilder auf der Arbeit. «
Das Verrückte war– und auch das war etwas, worüber ich gern mit meiner Mutter gesprochen hätte: Der neue, zugedröhnte Dad war ein sehr viel angenehmerer und berechenbarer Umgang als der alte Dad. Wenn mein Vater trank, war er ein Nervenbündel– lauter unpassende Witze und aggressive Energieausbrüche bis zum Augenblick des Zusammenklappens–, aber wenn er aufhörte zu trinken, war er noch viel schlimmer. Er schoss zehn Schritte vor mir und meiner Mutter auf dem Gehweg entlang, redete mit sich selbst und betastete die Taschen seines Anzugs, als suche er nach einer Waffe. Er brachte Sachen mit
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