Der Distelfink
und zog den Kopf ein, als der Hund anfing, sie anzuspringen und an ihr heraufzuklettern und sich festzukrallen. » Janet sollte herkommen und ihn rauslassen « , sagte sie über sein Gekreisch hinweg. » Sie hatte den Schlüssel und alles. Meine Güte, Popper. « Naserümpfend drehte sie den Kopf zur Seite. » Du stinkst. «
Ich war von den Socken, als ich sah, wie leer dieses Haus war. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nie hinterfragt, ob es notwendig war, die Sachen und Teppiche und Antiquitäten meiner Mutter zu verkaufen und die Bücher und fast alles andere in den Secondhand-Laden zu bringen oder wegzuwerfen. Ich war aufgewachsen in einem Vier-Zimmer-Apartment, wo die Schränke aus den Nähten platzten, wo unter jedem Bett Kartons standen und wo Töpfe und Pfannen an der Decke hingen, weil auf den Küchenborden kein Platz war. Aber– wie leicht wäre es gewesen, ein paar von ihren Sachen mit herzubringen, zum Beispiel die Silberdose, die ihrer Mutter gehört hatte, oder das Bild mit der kastanienbraunen Stute, das aussah wie ein Stubbs, oder wenigstens ihr Kindheitsexemplar von Black Beaut y ! Ein paar gute Bilder hätte er hier sehr wohl gebrauchen können oder ein paar von den Möbeln, die sie von ihren Eltern geerbt hatte. Er hatte ihre Sachen beseitigt, weil er sie hasste.
» Herr im Himmel! « Seine wütende Stimme übertönte das laute Gebell. » Dieser Hund hat das Haus zerstört. Ehrlich. «
» Na, ich weiß nicht– ich meine, ich weiß, es ist eine Sauerei, aber Janet hat gesagt… «
» Ich hab dir gesagt, du sollst den Hund in Pflege geben. Oder, was weiß ich, ins Tierheim. Ich will ihn nicht im Haus haben. Er gehört nach draußen. Hab ich nicht gesagt, dass wir da ein Problem kriegen? Janet ist so beschissen unzuverlässig… «
» Na, dann hat er eben ein paar Mal auf den Teppich gemacht? Na und? Und was zum Teufel hast du da zu glotzen? « Xandra stieg über den kläffenden Hund, und mit einem leichten Schreck begriff ich, dass ihre Wut mir galt.
VI
Mein neues Zimmer kam mir so leer und verwaist vor, dass ich nach dem Auspacken die Schiebetür des Wandschranks offen ließ, damit ich meine Kleider darin hängen sehen konnte. Ich hörte Dad, der unten noch immer wegen des Teppichs herumbrüllte. Leider brüllte Xandra ebenfalls und machte ihn damit immer wütender. Das war (wie ich ihr hätte sagen können, wenn sie mich gefragt hätte) genau die falsche Methode, ihn zu behandeln. Zu Hause hatte meine Mutter es verstanden, die Wut meines Vaters zu ersticken, indem sie verstummt war– eine kleine, niemals flackernde Flamme der Verachtung, die allen Sauerstoff im Zimmer verzehrte und alles, was er sagte und tat, lächerlich wirken ließ. Irgendwann rauschte er dann mit donnerndem Türenknallen hinaus, und wenn er zurückkam– Stunden später und mit leisem Klicken des Schlüssels im Schloss–, ging er in der Wohnung herum, als wäre nichts gewesen, nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und fragte in völlig normalem Ton, wo seine Post sei.
Von den drei leeren Zimmern im oberen Stockwerk hatte ich mir das größte ausgesucht; wie ein Hotelzimmer hatte es ein eigenes, winziges Badezimmer nebenan. Auf dem Boden lag ein schwerer, stahlblauer Plüschteppich. Eine nackte Matratze, mit einer Plastikpackung Bettwäsche auf dem Fußende. Perkalin, Marke Legends. Zwanzig Prozent reduziert. Ein sanftes mechanisches Summen kam aus den Wänden, wie das Summen eines Aquariumfilters. In so einem Zimmer, dachte ich, wurde im Fernsehen ein Callgirl oder eine Stewardess ermordet aufgefunden.
Mit einem Ohr achtete ich auf Dad und Xandra, als ich mich mit dem eingepackten Gemälde auf den Knien auf die Matratze setzte. Trotz abgeschlossener Tür zögerte ich, das Papier abzumachen, denn ich befürchtete, sie könnten heraufkommen, aber der Wunsch, es anzusehen, war unwiderstehlich. Vorsichtig, ganz vorsichtig, kratzte ich mit dem Daumennagel am Klebstreifen und schälte ihn vom Rand her hoch.
Das Bild rutschte leichter heraus, als ich es erwartet hatte, und unversehens musste ich einen Freudenschrei herunterschlucken. Zum ersten Mal sah ich das Bild bei Tageslicht. In dem nüchternen Zimmer mit seinen hartweißen Rigipswänden erwachten die gedämpften Farben zum Leben, und obwohl die Oberfläche des Gemäldes von einer geisterhaft zarten Staubschicht bedeckt war, atmete darin die Stimmung aus lichtdurchfluteter Luftigkeit einer Wand, die einem offenen Fenster gegenüberlag. War es das, was Leute wie
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