Der Distelfink
langweilig und Karte für Karte seinen Abend am Bakkarat- Tisch schilderte, was dann oft in (für mich) unerträgliche Geschichten von ähnlichen Triumphen mündete, die bis in seine College-Zeit und die gescheiterte Schauspielerkarriere zurückreichten.
» Du hast mir nie erzählt, dass dein Dad beim Film war! « , sagte Boris, als er mit einer Tasse kalt gewordenem Tee wieder heraufkam.
» Er war nicht in vielen. Nur in zweien, ungefähr. «
» Aber trotzdem. Der eine– das ist ein echt großer Film– dieser Polizeifilm, weißt du, wo der Polizist sich bestechen lässt. Wie hieß er noch? «
» Er hatte keine sehr große Rolle. War nur für ungefähr eine Sekunde zu sehen. Er hat einen Anwalt gespielt, der auf offener Straße erschossen wird. «
Boris zuckte die Achseln. » Na und? Ist trotzdem interessant. Wenn er je in die Ukraine käme, würden die Leute ihn behandeln wie einen Star. «
» Dann kann er ja hinfahren. Und Xandra kann er gleich mitnehmen. «
Boris’ Begeisterung für das, was er » intellektuelle Gespräche « nannte, fand ein dankbares Ventil in meinem Vater. Ich selbst interessierte mich nicht für Politik und noch viel weniger für die diesbezüglichen Ansichten meines Vaters und hatte deshalb keine Lust, mich auf die sinnlosen Diskussionen über internationale Ereignisse einzulassen, an denen mein Vater, wie ich wusste, seinen Spaß hatte. Boris hingegen– ob betrunken oder nüchtern– war ihm gern gefällig. Oft fuchtelte mein Vater bei diesen Gesprächen mit den Armen und ahmte die ganze Zeit Boris’ Akzent nach, und zwar so, dass sich mir die Nackenhaare sträubten. Aber Boris merkte es entweder nicht, oder es störte ihn nicht. Manchmal, wenn er hinunterging, um Teewasser aufzusetzen, und dann nicht zurückkam, fand ich sie schließlich in der Küche, wo sie vergnügt wie zwei Schauspieler in einem Theaterstück über den Zerfall der Sowjetunion oder sonst was diskutierten.
» Ah, Potter! « , sagte er, wenn er heraufkam. » Dein Dad. So ein netter Kerl! «
Ich zog die Ohrstöpsel meines iPods heraus. » Wenn du meinst. «
» Im Ernst. « Boris ließ sich auf den Boden fallen. » Er ist so gesprächig und intelligent. Und er liebt dich. «
» Keine Ahnung, wie du darauf kommst. «
» Hör auf! Er will mit dir ins Reine kommen, aber er weiß nicht, wie. Er wünscht, du wärest da unten und würdest diskutieren mit ihm, nicht ich. «
» Das hat er dir gesagt? «
» Nein. Ist aber wahr! Ich weiß es. «
» Fast wäre ich drauf reingefallen. «
Boris sah mich durchtrieben an. » Wieso hasst du ihn so sehr? «
» Ich hasse ihn nicht. «
» Er hat deiner Mutter das Herz gebrochen « , sagte Boris mit Bestimmtheit. » Als er sie verlassen hat. Aber du musst ihm verzeihen. Das alles ist Vergangenheit jetzt. «
Ich starrte ihn an. War es das, was mein Dad den Leuten erzählte?
» Was für ein Blödsinn. « Ich setzte mich auf und warf mein Comicheft zur Seite. » Meine Mutter « , wie sollte ich das erklären?, » du kapierst das nicht, er war ein Arschloch für uns, und wir waren froh, als er verschwunden ist. Ich meine, ich weiß, du findest ihn wahnsinnig toll und so… «
» Und warum ist er so schrecklich? Weil er sich mit anderen Frauen getroffen hat? « Boris streckte mir seine aufwärtsgewandten Handflächen entgegen. » Das kommt vor. Er hat sein Leben. Was hat das mit dir zu tun? «
Ungläubig schüttelte ich den Kopf. » Mann « , sagte ich, » er hat dich eingeseift. « Es erstaunte mich immer wieder, wie es meinem Dad gelang, Fremde zu bezaubern und einzuwickeln. Sie liehen ihm Geld, empfahlen ihn zur Beförderung, machten ihn mit wichtigen Leuten bekannt, luden ihn ein, ihre Ferienhäuser zu benutzen, gerieten vollständig in seinen Bann– und dann ging das alles irgendwie den Bach hinunter, und er wanderte zum Nächsten weiter.
Boris schlang die Arme um die Knie und lehnte den Kopf an die Wand. » Okay, Potter « , sagte er liebenswürdig. » Dein Feind– mein Feind. Wenn du ihn hasst, hasse ich ihn auch. Aber « , er legte den Kopf auf die Seite, » hier bin ich. In seinem Haus. Was soll ich tun? Mit ihm sprechen, nett und freundlich sein? Oder respektlos? «
» Das sage ich doch gar nicht. Ich sage nur, du sollst nicht alles glauben, was er dir erzählt. «
Boris gluckste. » Ich glaube niemandem alles, was er mir erzählt. « Er trat freundschaftlich gegen meinen Fuß. » Nicht mal dir. «
XXVII
Sosehr mein Dad ihn auch mochte, strengte ich mich
Weitere Kostenlose Bücher