Der Distelfink
doch ziemlich an, ihn davon abzulenken, dass Boris praktisch bei uns eingezogen war. Es fiel mir nicht allzu schwer, denn zwischen Glücksspiel und Drogen war mein Dad so abgelenkt, dass er es nicht mal bemerkt hätte, wenn ich einen Luchs oben im Zimmer hätte schlafen lassen. Die Verhandlungen mit Xandra waren ein bisschen schwieriger; sie neigte eher dazu, sich über die Kosten zu beschweren, obwohl Boris den Haushalt zuverlässig mit geklautem Knabberzeug versorgte. Wenn sie zu Hause war, blieb er oben und ging ihr aus dem Weg. Stirnrunzelnd vertiefte er sich in Der Idiot auf Russisch und hörte Musik aus meinen tragbaren Lautsprechern. Ich brachte ihm Bier und Essen von unten herauf und lernte, ihm den Tee aufzubrühen, wie er ihn mochte: kochend heiß, mit drei Stück Zucker.
Inzwischen war es kurz vor Weihnachten, auch wenn man es am Wetter nicht merkte: Abends wurde es kühl, aber tagsüber war es hell und warm. Bei Wind flatterte der Sonnenschirm am Pool, und das Knattern klang wie Gewehrschüsse. Nachts blitzte es, aber es fiel kein Regen, und manchmal stieg der Sand auf der Straße in kleinen Wirbeln auf, die hierhin und dorthin irrten.
Der Gedanke an die Feiertage deprimierte mich, aber Boris blieb gelassen. » Das ist für kleine Kinder, das alles « , sagte er verachtungsvoll und stützte sich auf meinem Bett auf die Ellenbogen. » Baum, Spielzeug. Wir machen unser eigenes prasdnik am Heiligabend. Was meinst du? «
» Prasdnik? «
» Du weißt schon. Eine Art Feiertagsparty. Kein richtiges Heiliges Abendmahl, aber ein nettes Essen. Kochen was Besonderes– und vielleicht laden wir deinen Vater ein und Xandra. Glaubst du, die möchten was essen mit uns? «
Zu meiner großen Überraschung waren mein Vater und sogar Xandra entzückt über diese Idee (mein Vater wohl hauptsächlich, weil ihm das Wort prasdnik gefiel und er Spaß daran hatte, Boris dazu zu bringen, dass er es immer wieder laut sagte). Am 23. gingen Boris und ich einkaufen, mit richtigem Geld, das mein Vater uns gegeben hatte (zum Glück, denn unser gewohnter Supermarkt war so voll mit Feiertagseinkäuferinnen, dass man nicht unbesorgt hätte klauen können). Wir kauften Kartoffeln und ein Huhn und diverse unappetitliche Zutaten (Sauerkraut, Pilze, Erbsen, saure Sahne) für ein polnisches Festtagsgericht, das Boris angeblich zubereiten konnte, Pumpernickel-Rollen (Boris bestand auf Schwarzbrot, denn weißes, behauptete er, sei ganz verkehrt für dieses Essen), ein Pfund Butter, saure Gurken und ein paar Weihnachtssüßigkeiten.
Boris hatte gesagt, wir würden essen, wenn der erste Stern am Himmel erschiene– der Stern von Bethlehem. Aber wir waren es nicht gewohnt, für andere außer uns zu kochen, und infolgedessen verspäteten wir uns am Heiligen Abend. Um acht war das Sauerkraut fertig, und das Huhn (das wir nach den Anweisungen auf der Verpackung zubereitet hatten) brauchte noch zehn Minuten, als mein Dad– ein Weihnachtslied pfeifend– in die Küche kam und munter auf die Theke klopfte, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
» Kommt, Jungs! « Sein Gesicht war rot und glänzend, und er sprach sehr schnell und in einem angespannten Stakkato, das ich nur zu gut kannte. Er trug einen von seinen schicken alten Dolce-&-Gabbana-Anzügen aus New York, aber keine Krawatte. Der Hemdkragen war nicht zugeknöpft und lag lässig um den Hals. » Kämmt euch die Haare und macht euch ein bisschen fein. Wir gehen alle zusammen aus. Hast du nichts Besseres zum Anziehen, Theo? Du musst doch noch was haben. «
» Aber… « Ich starrte ihn frustriert an. Das war typisch für meinen Dad– einfach aufzukreuzen und im letzten Moment den Plan umzuschmeißen.
» Ach, kommt. Das Huhn kann warten. Oder? Klar kann es. « Er sprach schnell wie ein Maschinengewehr. » Das andere da könnt ihr auch in den Kühlschrank stellen. Wir essen es morgen als Weihnachtslunch– ist es dann auch prasdnik ? Oder ist prasdnik nur am Heiligen Abend? Bringe ich da was durcheinander? Na, okay, jedenfalls essen wir unsers dann. Am Ersten Weihnachtstag. Neue Tradition. Aufgewärmtes schmeckt sowieso besser. Passt auf, das wird fantastisch. Boris « , er bugsierte Boris bereits aus der Küche, » welche Hemdgröße trägst du, Genosse? Weißt du nicht? Ein paar von meinen alten Brooks-Brothers-Hemden, eigentlich sollte ich sie dir alle schenken, erstklassige Hemden, versteh mich nicht falsch, wahrscheinlich reichen sie dir bis an die Knie, aber mir sind sie am Hals
Weitere Kostenlose Bücher