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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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dem Zeitungsstand auf dem Bahnsteig auf die Linie6. Aber das hatte nicht lange funktioniert. Wenn ich jetzt mein Gesicht in einem fremden Kissen vergrub, das nicht nach ihr oder nach zu Hause roch, dachte ich an die Wohnung der Barbours in der Park Avenue und manchmal auch an Hobies Townhouse im Village.
    Es tut mir leid, dass dein Vater die Sachen deiner Mutter verkauft hat. Wenn du mir etwas gesagt hättest, dann hätte ich etwas davon erstehen und für dich aufbewahren können. Wenn wir traurig sind– zumindest mir geht es so–, kann es tröstlich sein, sich an vertrauten Gegenständen festzuhalten, an den Dingen, die sich nicht verändern.
    Deine Beschreibung der Wüste – dieses ozeanische, endlose Gleißen – klingt schrecklich, aber auch sehr schön. Vielleicht hat diese rohe Leere etwas für sich. Das Licht alter Zeiten ist anders als das Licht von heute, und doch fühle ich mich hier in diesem Hause auf Schritt und Tritt an die Vergangenheit erinnert. Aber wenn ich an dich denke, ist es, als wärest du mit einem Schiff auf das Meer hinausgefahren – in eine fremdartige Helligkeit, wo es keine Wege gibt, sondern nur Sterne und den Himmel.
    Dieser Brief klemmte zwischen den Seiten einer alten Hardcover-Ausgabe von Wind, Sand und Sterne von Saint-Exupéry, die ich immer wieder las. Ich bewahrte ihn in dem Buch auf, und vom dauernden Lesen wurde er zerknittert und schmutzig.
    Boris war der einzige Mensch in Vegas, dem ich erzählt hatte, wie meine Mutter gestorben war, und ich muss ihm zugutehalten, dass er diese Information unaufgeregt zur Kenntnis nahm; sein eigenes Leben war so erratisch und voller Gewalt gewesen, dass ihn die Geschichte anscheinend kein bisschen erschreckte. Starke Explosionen hatte er schon gesehen, draußen in den Bergwerken seines Vaters bei Batu Hijau und anderen Orten, von denen ich noch nie gehört hatte, und ohne die Einzelheiten zu kennen, konnte er eine ziemlich akkurate Vermutung hinsichtlich der verwendeten Sprengstoffsorte abgeben. So redselig er war, er hatte doch auch eine verschwiegene Seite, und ich konnte darauf vertrauen, dass er es niemandem erzählte, ohne dass ich ihn darum bitten musste. Vielleicht, weil er selbst mutterlos war und eine enge Bindung zu Leuten wie Bami oder Jewgeni, dem » Leutnant « seines Vaters, und Judy, der Frau des Barkeepers in Karmeywallag, entwickelt hatte. Jedenfalls fand er meine Anhänglichkeit Hobie gegenüber kein bisschen eigenartig. » Die Leute versprechen zu schreiben, und sie tun es nicht « , sagte er, als wir uns in der Küche Hobies neuesten Brief anschauten. » Aber dieser Typ schreibt dir dauernd. «
    » Ja, er ist nett. « Ich hatte den Versuch aufgegeben, Boris zu erklären, wer Hobie war– sein Haus, seine Werkstatt, seine nachdenkliche Art zuzuhören, die so anders war als die meines Vaters, aber mehr als alles andere eine angenehme Atmosphäre des Geistes: neblig, herbstlich, ein mildes, einladendes Mikroklima, das dafür sorgte, dass ich mich in seiner Gesellschaft sicher und behaglich fühlte.
    Boris steckte den Finger in das offene Glas mit Erdnussbutter, das zwischen uns auf dem Tisch stand, und leckte ihn ab. Er liebte Erdnussbutter, die es (genau wie Marshmallows) in Russland nicht gab. » ’ne alte Schwuchtel? « , fragte er.
    Ich war verdattert. » Nein « , sagte ich sofort und dann: » Ich weiß es nicht. «
    » Egal. « Boris schob mir das Glas herüber. » Ich hab schon ein paar süße alte Schwuchteln gekannt. «
    » Ich glaube nicht, dass er eine ist « , sagte ich unsicher.
    Boris zuckte die Achseln. » Wen kümmert’s? Wenn er gut zu dir ist? Keiner von uns findet je genug Freundlichkeit auf der Welt, oder? «
    XXVI
    Boris mochte meinen Vater inzwischen gern und der ihn auch. Er begriff besser als ich, wovon mein Vater lebte, und obwohl er sich, ohne dass man es ihm gesagt hatte, geflissentlich von ihm fernhielt, wenn er verloren hatte, verstand er doch auch, dass mein Vater etwas brauchte, was ich ihm nicht geben wollte: ein Publikum im Rausch des Gewinnens, wenn er aufgedreht und voller Schlagkraft in der Küche auf und ab marschierte und jemanden haben wollte, der seinen Geschichten zuhörte und ihn lobte, weil er so tüchtig gewesen war. Wenn wir ihn dort unten hörten, wie er, aufgepumpt und high im Abwind eines Gewinns, triumphierend herumpolterte und großen Lärm machte, dann legte Boris sein Buch weg und lief die Treppe hinunter, um geduldig dazustehen und sich anzuhören, wie mein Dad

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