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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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«
    » Drei R? «
    » Revolver, Rand von Straße oder Regenrinne « , sagte Boris mit einem dunklen, slawischen Glucksen.
    IX
    War das aus einem Film, fragte ich mich. Die Drei R? Woher hatte er das? Obwohl ich die Ereignisse des Nachmittags bis dahin ziemlich erfolgreich verdrängt hatte, hatte Boris mich mit seiner Abschiedsbemerkung gründlich verschreckt, und ich saß eine Stunde lang starr da, guckte Krieg der Welten ohne Ton und lauschte dem Knirschen der Eiswürfelmaschine und dem Knattern des Windes im Sonnenschirm auf dem Hof. Popper– der meine Stimmung aufgenommen hatte– war genauso angespannt wie ich und sprang immer wieder kläffend vom Sofa, um Geräusche im Haus zu erkunden. Als kurz nach Einbruch der Dunkelheit tatsächlich ein Wagen in unsere Einfahrt bog, rannte er zur Tür und veranstaltete einen Radau, dass ich mich halb zu Tode erschreckte.
    Aber es war nur mein Vater. Er wirkte zerknittert, glasig und nicht besonders gut gelaunt.
    » Dad? « Ich war immer noch so stoned, dass meine Stimme viel zu laut und seltsam klang.
    Er blieb am Fuß der Treppe stehen und sah mich an.
    » Heute war ein Mann hier. Ein Mr. Silver. «
    » Ach ja? « , sagte mein Vater ziemlich beiläufig. Doch er stand ganz still, eine Hand aufs Geländer gelegt.
    » Er hat gesagt, er hätte versucht, dich zu erreichen. «
    » Wann war das? « Er kam in den Raum.
    » Heute Nachmittag so gegen vier, glaub ich. «
    » War Xandra hier? «
    » Ich habe sie nicht gesehen. «
    Er legte eine Hand auf meine Schulter und schien eine Weile nachzudenken. » Nun « , meinte er, » ich fände es nett von dir, wenn du nichts davon sagen würdest. «
    Das Ende von Boris’ Joint lag noch im Aschenbecher, wie mir in diesem Moment bewusst wurde. Mein Vater bemerkte meinen Blick, nahm den Joint und schnupperte daran.
    » Dachte schon, ich hätte so was gerochen. « Er steckte die Kippe in die Jackentasche. » Du stinkst ein bisschen, Theo. Woher habt ihr Jungs das? «
    » Ist alles okay? «
    Die Augen meines Dads sahen ein bisschen gerötet und unfokussiert aus. » Klar doch « , sagte er. » Ich geh nur kurz hoch und mach ein paar Anrufe. « Er roch stark nach abgestandenem Zigarettenqualm und Ginseng-Tee, den er dauernd trank, eine Gewohnheit, die er sich von den chinesischen Geschäftsmännern im Bakkarat-Salon abgeguckt hatte: Es gab seinem Schweiß einen markanten, fremden Geruch. Während ich beobachtete, wie er die Treppe hochstieg, sah ich, dass er die Joint-Kippe aus der Jackentasche zog und noch einmal nachdenklich unter seine Nase hielt.
    X
    Sobald ich oben in meinem Zimmer die Tür abgeschlossen hatte– Popper war immer noch nervös und rannte steifbeinig herum–, wanderten meine Gedanken zu dem Gemälde. Ich war stolz auf meine Kopfkissenbezug-hinter-dem-Kopfteil-Idee gewesen, doch jetzt begriff ich, wie dumm es war, das Gemälde überhaupt im Haus zu haben– nicht dass ich irgendwelche Alternativen gehabt hätte, wenn ich es nicht in dem Müllcontainer ein paar Häuser weiter (der in meiner gesamten Zeit in Las Vegas noch kein einziges Mal geleert worden war) oder in einem der verlassenen Häuser gegenüber verstecken wollte. Boris’ Haus war nicht sicherer als meins, und sonst gab es niemanden, den ich gut genug kannte und dem ich vertraute. Der einzige andere Ort war die Schule, ebenfalls eine schlechte Idee, doch auch wenn ich wusste, dass es eine bessere Wahl geben musste, fiel sie mir nicht ein. In der Schule wurden hin und wieder willkürliche Spind-Inspektionen durchgeführt, und ich zählte– wegen meiner Verbindung zu Kotku durch Boris– jetzt möglicherweise zu der Sorte Abschaum, dessen Spind man zufällig durchsuchte. Trotzdem, selbst wenn jemand es in meinem Spind fand– der Direktor, Mr. Detmars, der furchterregende Basketballtrainer, oder sogar einer der Mietbullen von dem Sicherheitsdienst, der hin und wieder hinzugezogen wurde, um den Schülern Angst einzujagen–, wäre es immer noch besser, als wenn Dad oder Mr. Silver es entdeckten.
    In dem Kopfkissenbezug war das Gemälde in mehrere Schichten Zeichenpapier gewickelt– gutes Papier, Archivpapier, das ich aus dem Kunstraum der Schule mitgenommen hatte– und darunter in eine innere doppelte Schutzschicht aus weißen Leinengeschirrtüchern, um die Oberfläche vor den (nicht vorhandenen) Säuren in dem Papier zu schützen. Aber ich hatte das Bild so oft herausgenommen, um es zu betrachten– und dabei die zugeklebte obere Klappe der Verpackung

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