Der Distelfink
unglücklich zu sein ), Parfümproben, alte Kassetten, seit zehn Jahren abgelaufene Versicherungskarten und ein Schwung Streichholzbriefchen von einer Anwaltskanzlei in Reno mit dem Aufdruck VERTRETUNG BEI ALKOHOL AM STEUER UND ALLEN DROGENDELIKTEN .
» Hey, gib mir die. « Boris steckte einen Streifen Kondome ein. » Und was ist das? « Er nahm etwas, das auf den ersten Blick aussah wie eine Coladose, jedoch klapperte, als er es schüttelte. Er hielt sein Ohr daran. » Ha! « Er warf es mir zu.
» Saubere Arbeit. « Ich schraubte den– erkennbar unechten– Deckel ab und kippte den Inhalt auf den Nachttisch.
» Wow « , sagte ich nach einem Moment. In der Dose bewahrte Xandra offensichtlich ihr Trinkgeld auf– teils Bargeld, teils Spielchips, dazu noch eine Menge anderer Dinge. So viele, dass ich Mühe hatte, sie alle zu registrieren– zumal mein Blick sofort auf die Diamant-und-Smaragd-Ohrringe gefallen war, die meine Mutter vermisst hatte, kurz bevor mein Vater abgehauen war.
» Wow « , sagte ich noch einmal und hielt einen von ihnen zwischen Daumen und Zeigefinger. Meine Mutter hatte diese Ohrringe zu fast jeder Cocktail-Party getragen und wann immer sie sich sonst schick gemacht hatte– die blaugrüne Transparenz der Steine, ihr verruchtes Drei-Uhr-morgens-Glitzern gehörten zu ihr wie ihre Augenfarbe oder der würzig dunkle Geruch ihres Haars.
Boris kicherte. Zwischen all dem Bargeld hatte er ein Filmdöschen entdeckt, das er sich sofort schnappte und mit zitternden Händen öffnete. Er tunkte den kleinen Finger hinein und probierte den Inhalt. » Bingo! « Er strich mit dem Finger über das Zahnfleisch. » Jetzt wird Kotku sich ärgern, dass sie nicht vorbeigekommen ist. «
Ich präsentierte ihm die Ohrringe in meiner offenen Hand. » Ja, nett « , sagte er, ohne richtig hinzusehen. Er klopfte ein kleines Puderhäufchen aus der Dose auf den Nachttisch. » Dafür bekommst du ein paar tausend Dollar. «
» Die haben meiner Mutter gehört. « Das meiste von ihrem Schmuck hatte mein Vater noch in New York verkauft, inklusive ihres Eherings. Aber jetzt stellte ich fest, dass Xandra einiges für sich abgezweigt hatte, und zu sehen, was sie ausgewählt hatte, stimmte mich eigenartig traurig– nicht die Perlen oder die Rubinbrosche, sondern billigen Modeschmuck, den meine Mutter als Teenager getragen hatte, darunter ein Armband aus ihrer Highschool-Zeit mit Hufeisen-, Ballettschuh- und Kleeblatt-Anhängern.
Boris richtete sich auf, kniff sich in die Nase und gab mir den gerollten Geldschein. » Möchtest du auch? «
» Nein. «
» Komm schon. Danach geht es dir besser. «
» Nein, danke. «
» Das sind zusammen bestimmt vier oder fünf Achtel-Unzen. Vielleicht mehr! Wir können eine behalten und den Rest verkaufen. «
» Hast du das Zeug schon mal genommen? « , fragte ich skeptisch und betrachtete die auf dem Bett liegende Xandra. Obwohl sie offensichtlich ausgezählt war, gefiel es mir nicht, diese Gespräche über ihren Rücken hinweg zu führen.
» Yeah. Kotku mag es. Ist aber teuer. « Eine Weile lang wirkte er komplett abwesend, dann blinzelte er schnell. » Wow. Komm « , sagte er lachend. » Hier. Weißt du gar nicht, was verpasst. «
» Ich bin auch so schon total hinüber. « Ich blätterte das Geld durch.
» Ja, aber das macht dich wieder nüchtern. «
» Boris, ich kann hier nicht rumalbern. « Ich steckte die Ohrringe und das Armband mit den Anhängern ein. » Wenn wir abhauen, müssen wir sofort aufbrechen. Bevor alle möglichen Leute auftauchen. «
» Welche Leute? « , fragte Boris skeptisch und strich den Finger unter seiner Nase hin und her.
» Glaub mir, das geht ganz schnell. Das Jugendamt oder so schaltet sich ein. « Ich hatte das Bargeld gezählt– tausenddreihunderteinundzwanzig Dollar plus Kleingeld; die Chips waren zusammen sehr viel mehr wert, knapp fünftausend Dollar, aber die konnte ich ihr auch dalassen. » Die Hälfte für dich, die Hälfte für mich. « Ich begann, das Geld auf zwei Stapel aufzuteilen. » Das reicht für zwei Tickets. Wahrscheinlich ist es für den letzten Flug schon zu spät, aber wir sollten schon mal aufbrechen und einen Wagen zum Flughafen nehmen. «
» Jetzt? Heute Nacht? «
Ich hörte auf zu zählen und sah ihn an. » Ich habe hier draußen niemanden. Keinen Menschen. Nada. Die stecken mich so schnell in ein Heim, dass ich gar nicht weiß, was mich getroffen hat. «
Boris wies mit dem Kopf auf Xandra– was äußert entnervend war,
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