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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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auf dem Küchentisch einen Joint drehte, beinahe so fachmännisch gebaut wie einer von Kotkus, hielten Boris und ich uns überwältigt im Hintergrund. Es war schwer zu glauben, dass mein Dad tot sein konnte, während seine Zigaretten noch auf dem Küchentresen lagen und seine alten weißen Tennisschuhe an der Hintertür standen. Offenbar– es kam alles in der verkehrten Reihenfolge heraus, sodass ich es mir im Kopf zusammensetzen musste– war mein Dad um kurz vor zwei Uhr am Nachmittag mit dem Lexus auf die Gegenfahrbahn des Highways geraten, frontal in einen Sattelschlepper gerast und auf der Stelle tot gewesen (der Fahrer des LKW zum Glück nicht, genauso wenig wie die Insassen des Wagens, der auf den Laster aufgefahren war, obwohl sich dessen Fahrer ein Bein gebrochen hatte). Die Mitteilung über den Blutalkohol war eine Überraschung und auch wieder nicht– ich hatte vermutet, dass mein Vater wieder trank, obwohl ich ihn nicht dabei gesehen hatte–, aber was Xandra verblüffte, war nicht seine extreme Trunkenheit (er hatte praktisch bewusstlos am Steuer gehangen), sondern der Unfallort– außerhalb von Vegas auf dem Weg in die Wüste Richtung Westen. » Er hätte es mir erzählt, er hätte es mir erzählt « , jammerte sie auf irgendeine Frage von Courtney, nur warum, dachte ich düster, auf dem Boden sitzend und die Hände vor den Augen, glaubte sie, dass es im Wesen meines Vaters lag, über irgendetwas die Wahrheit zu sagen?
    Boris hatte einen Arm um meine Schulter gelegt. » Sie weiß es nicht, oder? «
    Ich wusste, dass er von Mr. Silver sprach. » Sollte ich… «
    » Wohin wollte er? « , fragte Xandra Courtney und Janet beinahe aggressiv, als hätte sie sie im Verdacht, Informationen zurückzuhalten. » Was hat er da draußen gemacht? « Es war eigenartig, sie immer noch in ihrer Arbeitsuniform zu sehen, weil sie sich normalerweise sofort umzog, wenn sie nach Hause kam.
    » Er ist nicht zu dem Treffen mit dem Typen gegangen, wie er sollte « , flüsterte Boris.
    » Ich weiß. « Möglicherweise hatte er vorgehabt, zu dem klärenden Gespräch mit Mr. Silver zu fahren. Aber wahrscheinlich– wie meine Mutter und ich es so oft und fatal geahnt hatten– hatte er auf dem Weg in irgendeiner Bar Halt gemacht, auf ein oder zwei Kurze, um die Nerven zu beruhigen, wie er immer sagte. Und wer konnte wissen, was ihm in diesem Moment möglicherweise durch den Kopf gegangen war? Sicher nichts was Xandra unter diesen Umständen weiterhelfen würde, doch es wäre weiß Gott nicht das erste Mal, dass er sich angesichts seiner Verpflichtungen aus der Stadt verdrücken wollte.
    Ich weinte nicht. Obwohl ich immer wieder von Fassungslosigkeit und Panik gepackt wurde, schien alles hochgradig irreal, und ich sah mich ständig nach ihm um, jedes Mal erstaunt über die Abwesenheit seiner Stimme unter den anderen, diese gefällige, gemessene Aspirin-Werbung-Stimme ( Vier von fünf Ärzten …), die sich gegen alle anderen im Raum durchsetzte.
    Xandra schwankte zwischen relativer Gefasstheit– sie wischte sich Augen ab, holte Teller für die Pizza und schenkte allen roten Wein aus, der irgendwoher aufgetaucht war– und tränenreichen Zusammenbrüchen. Nur Poptschik war glücklich: So viele Leute hatten wir nur selten zu Besuch, und er lief von einem zum anderen und ließ sich auch durch wiederholte Zurückweisung nicht entmutigen. An irgendeinem verschwommenen Punkt am späten Abend– Xandra weinte zum zwanzigsten Mal in Courtneys Armen, o mein Gott, er ist nicht mehr, ich kann es nicht glauben – zog Boris mich beiseite und sagte: » Potter, ich muss gehen. «
    » Nein, bitte nicht. «
    » Kotku flippt total aus. Ich soll jetzt bei ihr sein! Sie hat mich seit achtundvierzig Stunden nicht gesehen. «
    » Pass auf, sag ihr, dass sie vorbeikommen kann, wenn sie will– erzähl ihr, was passiert ist. Es wäre wirklich total beschissen, wenn du jetzt gehst. «
    Xandra war durch ihre Trauer und die Gäste zunehmend abgelenkt, sodass Boris sich nach oben schleichen und den Anruf aus ihrem Zimmer machen konnte– ein Zimmer, das normalerweise abgeschlossen war und das Boris und ich nie zu Gesicht bekamen. Etwa zehn Minuten später kam er die Treppe hinuntergehuscht.
    » Kotku hat gesagt, soll bleiben « , erklärte er und hockte sich neben mich. » Sie sagt, ich soll ausrichten, dass es ihr leidtut. «
    » Wow. « Ich war den Tränen nahe und rieb mir das Gesicht, damit er nicht sah, wie überrascht und gerührt ich war.
    » Na

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