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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Fehler. «
    » Vergiss es « , fauchte ich und wandte mich wieder ab. » Wenn du nicht mitkommen willst, dann eben nicht, okay? Aber ich kann hier nicht die ganze Nacht rumstehen. «
    Boris könnte fragen– dachte ich–, was in dem Kopfkissenbezug steckte, zumal es nach meiner überenthusiastischen Verpackungsaktion so dick und sonderbar geformt war. Aber während ich den Bezug von der Rückseite meines Kopfteils löste und in meine Reisetasche packte (zusammen mit meinem iPod, Notebook, Aufladekabel, Wind, Sonne und Sterne, ein paar Bildern von meiner Mom, meiner Zahnbürste und Kleidung zum Wechseln), blickte er mich nur schweigend und finster an. Als ich aus den Tiefen des Kleiderschranks meinen alten Schulblazer hervorkramte (der mir mittlerweile zu klein war, obwohl er beim Kauf zusammen mit meiner Mutter noch nicht gepasst hatte), nickte er und meinte: » Gute Idee, das. «
    » Was? «
    » Damit siehst du nicht mehr so obdachlos aus. «
    » Es ist November « , sagte ich. Ich hatte nur einen warmen Pullover aus New York mitgebracht, den ich in die Tasche stopfte, bevor ich den Reißverschluss zuzog. » Es ist bestimmt kalt. «
    Boris lümmelte sich an die Wand. » Was wirst du machen dann? Auf der Straße leben, im Bahnhof, wo? «
    » Ich kann einen Freund anrufen, bei dem ich schon mal gewohnt habe. «
    » Wenn sie dich wollten, diese Leute, dann hätten sie dich schon adoptiert. «
    » Sie konnten nicht! Wie hätten sie? «
    Boris verschränkte die Arme. » Sie wollten dich nicht, diese Familie. Das hast du mir selbst erzählt– viele Male. Außerdem, du hörst nie was von ihnen. «
    » Das ist nicht wahr « , sagte ich nach einer kurzen, verwirrten Pause. Erst von wenigen Monaten hatte Andy mir eine (für seine Verhältnisse) beinahe lange E-Mail geschickt, in der er berichtet hatte, was in der Schule los war, ein Skandal um einen Tennis-Trainer, der Mädchen aus unserer Klasse angegrapscht hatte, obwohl dieses Leben so weit entfernt war, dass es mir so vorkam, als würde ich über Leute lesen, die ich nicht kannte.
    » Zu viele Kinder « , sagte Boris, ein bisschen selbstgefällig, so kam es mir vor. » Nicht genug Platz? Schon vergessen den Teil? Du hast gesagt, die Mutter und der Vater wären froh gewesen, dich loszuwerden. «
    » Du kannst mich mal. « Ich bekam schon jetzt massive Kopfschmerzen. Was würde ich machen, wenn die Jugendfürsorge auftauchte und mich auf die Rückbank eines Wagens verfrachtete? Wen– in Nevada– könnte ich anrufen? Mrs. Spear? Mrs. Playa? Den fetten Verkäufer aus dem Modellbau-Geschäft, der uns den Klebstoff ohne die Modelle verkaufte?
    Boris folgte mir nach unten, wo wir in der Mitte des Wohnzimmers von einem gequält aussehenden Popper aufgehalten wurden, der unseren Weg kreuzte, direkt vor uns Platz nahm und uns anstarrte, als wüsste er ganz genau, was los war.
    » O Scheiße. « Ich stellte die Tasche ab. Danach herrschte Schweigen.
    » Boris « , sagte ich, » kannst du nicht… «
    » Nein. «
    » Kann Kotku… «
    » Nein. «
    » Na, dann scheiß drauf « , ich hob ihn hoch und klemmte ihn unter den Arm, » ich lasse ihn nicht hier, damit sie ihn einsperrt und verhungern lässt. «
    » Und wohin willst du? « , fragte Boris, als ich zur Haustür ging.
    » Hä? «
    » Zu Fuß? Zum Flughafen? «
    » Warte! « Ich setzte Poptschik wieder ab. Mir war plötzlich übel, als könnte ich jeden Moment Rotwein auf den Teppich kotzen. » Darf man in Flugzeugen Hunde mitnehmen? «
    » Nein « , sagte Boris unbarmherzig und spuckte einen abgekauten Daumennagel aus.
    Er stellte sich an wie ein Arschloch, ich wollte ihn am liebsten schlagen. » Okay « , sagte ich. » Vielleicht will jemand am Flughafen ihn. Oder, scheiß drauf, ich nehm den Zug. «
    Er wollte etwas Spöttisches sagen, hatte die Lippen schon auf eine Weise geschürzt, die ich gut kannte, doch dann entgleisten– ziemlich unvermittelt– seine Gesichtszüge. Ich drehte mich um und sah Xandra mit wildem Blick, die Augen Mascara-verschmiert, schwankend auf dem oberen Treppenabsatz stehen.
    Wir starrten sie wie versteinert an. Nach einer, so schien es, Jahrhunderte langen Pause öffnete sie den Mund, schloss ihn wieder, stützte sich am Geländer ab und fragte heiser: » Hat Larry seine Schlüssel in dem Bankschließfach gelassen? «
    Wir stierten geschockt vor uns hin, bis uns klar wurde, dass sie auf eine Antwort wartete. Ihr Haar war wie ein Heuhaufen; sie wirkte komplett desorientiert und so unsicher auf

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