Der Distelfink
ich aussah, beinahe wie jemand, mit dem ich befreundet sein könnte, war ich New Yorker genug, um sein freundliches Hallo zu ignorieren und weiterzugehen, als wüsste ich, wohin ich wollte.
Ich hatte gedacht, Popper wäre außer sich vor Freude, aus dem Bus rauszukommen, doch als ich ihn auf dem Bürgersteig der 8th Avenue absetzte, war alles zu viel für ihn und er so verschreckt, dass er nicht mehr als etwa einen Block weit laufen wollte. Er war noch nie in einer Großstadt gewesen, alles machte ihm Angst (Autos, Hupen, Menschenbeine, leere Plastiktüten, die über den Bürgersteig geweht wurden), und er zerrte ungeduldig vorwärts, schoss auf Zebrastreifen zu, sprang hin und her, rannte panisch um mich herum und wickelte die Leine um meine Beine, sodass ich stolperte und beinahe vor einen Transporter gefallen wäre, der noch eine Kreuzung überqueren wollte, bevor die Ampel auf Rot sprang.
Nachdem ich den strampelnden Popper hochgehoben und wieder in seine Tasche gesteckt hatte (wo er verzweifelt scharrte und schnaufte, bevor er sich beruhigte), stand ich mitten im Rushhour-Verkehr und versuchte, mich zu orientieren. Alles schien so viel schmutziger und unfreundlicher, als ich es in Erinnerung hatte– auch kälter, die Straßen grau wie eine alte Zeitung. Que faire, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Ich konnte ihre Stimme beinahe hören, ihren leichten, unbekümmerten Tonfall.
Wenn mein Vater herumgelaufen war, Küchenschränke zugeknallt und geklagt hatte, dass er einen Drink wollte, hatte ich mich oft gefragt, wie es sich anfühlte, » einen Drink zu wollen « – wie es sich anfühlte, Alkohol zu wollen und nichts anderes, keine Pepsi oder sonst was. Jetzt, dachte ich düster, weiß ich es. Ich hätte sterben können für ein Bier, doch ich war klug genug, nicht in ein Deli zu gehen und zu versuchen, als Minderjähriger eins zu kaufen. Sehnsüchtig dachte ich an Mr. Pavlikovskys Wodka, den täglichen Schuss Wärme, an den ich mich wie selbstverständlich gewöhnt hatte.
Und was noch wichtiger war: Ich starb beinahe vor Hunger. Ich war nur ein paar Häuser entfernt von einer edlen Konditorei und so hungrig, dass ich direkt hineinspazierte und mir das erste Törtchen kaufte, das mir ins Auge fiel (mit Grüner-Tee-Geschmack und einer Art Vanillefüllung, bizarr, aber trotzdem köstlich). Mit dem Zucker im Blut ging es mir sofort besser, und während ich aß und mir die Vanillesauce von den Fingern leckte, starrte ich staunend auf die zielstrebigen Massen. Als ich Vegas verlassen hatte, war ich irgendwie sehr viel zuversichtlicher gewesen, wie sich alles entwickeln würde. Würde Mrs. Barbour das Jugendamt anrufen und melden, dass ich aufgetaucht war? Nein, hatte ich gedacht, doch jetzt kam ich ins Grübeln. Dann war da noch die nicht so unbedeutende Frage von Popper, da Andy auf Hunde (neben Milchprodukten, Nüssen, Klebeband, Senf und ungefähr fünfundzwanzig anderen verbreiteten Haushaltsprodukten) stark allergisch reagierte– und nicht nur auf Hunde, sondern auch auf Katzen, Pferde, Zirkustiere und das klasseneigene Meerschweinchen ( » Pig Newton « ), das wir in der zweiten Klasse gehabt hatten, weshalb es im Haus der Barbours keine Haustiere gab. Irgendwie war mir das in Vegas nicht als unüberwindbares Problem erschienen, aber jetzt– auf der dunklen und kälter werdenden 8th Avenue– schon.
Weil ich nicht wusste, was ich sonst machen sollte, lief ich Richtung Park Avenue los. Der Wind schlug mir unwirtlich ins Gesicht, und der Geruch von Regen in der Luft machte mich nervös. Der Himmel in New York schien viel tiefer und schwerer als im Westen– schmutzige Wolken wie von Radiergummi verwischte Bleistiftstriche auf rauem Papier. Es war, als hätte die Wüste, ihre Offenheit, meine Weitsicht geschult. Hier wirkte alles feucht und beengt.
Laufen half, meinen steifen Seemannsgang loszuwerden. Ich ging nach Osten bis zur Bibliothek (die Löwen! Ich blieb einen Moment still stehen wie ein heimkehrender Soldat, der einen ersten Blick auf sein Zuhause wirft) und bog dann in die 5th Avenue– die Laternen brannten, es war immer noch ziemlich voll, aber die Straßen leerten sich zum Abend hin– Richtung Central Park South. Ich war müde, und mir war kalt, doch der Anblick des Parks bestärkte trotzdem mein Herz, und ich rannte über die 57th Street (Straße der Freude!) in die belaubte Dunkelheit. Die Gerüche und Schatten, sogar die gesprenkelten Stämme der Platanen hoben meine Stimmung, und mir war,
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