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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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gestrichen.
    » Hören Sie… « Ich begriff, dass es ein taktischer Fehler gewesen war, ihn auf seinem Territorium zu treffen, wo er die Kellner kannte, mit Block und Bleistift die Bestellung übernahm und ich nicht großzügig vorschlagen konnte, dass er dieses oder jenes probieren solle.
    » Oder dass er vorsätzlich ein geschnitztes Phoenix-Ornament von einem Thomas-Affleck-Stück– ja, ja, ich glaube, es ist Affleck, auf jeden Fall Philadelphia– auf diesen echt antiken, aber ansonsten unbedeutenden Schubladenschrank aus derselben Periode montiert hat? Sprechen wir nicht von demselben Möbel? «
    » Bitte, wenn Sie mich bloß… « Wir waren an einem Tisch am Fenster platziert worden, die Sonne blendete, ich schwitzte und fühlte mich unbehaglich.
    » Wie können Sie dann behaupten, dass es sich nicht um eine vorsätzliche Täuschung handelt? Seinerseits oder Ihrerseits? «
    » Hören Sie « , der Kellner lungerte in der Nähe herum, ich wollte, dass er ging, » der Fehler lag bei mir. Wie ich bereits sagte. Und ich habe Ihnen angeboten, das Objekt mit einem Aufpreis zurückzukaufen, deshalb weiß ich nicht genau, was Sie sonst noch von mir wollen. «
    Trotz meines kühlen Tons drehte ich vor Angst fast durch, einer Angst, die nicht weniger geworden war angesichts der Tatsache, dass Lucius Reeve meinen Rückkauf-Scheck zwölf Tage später immer noch nicht eingelöst hatte. Kurz bevor mir Platt über den Weg gelaufen war, hatte ich das in der Bank überprüft.
    Was Lucius Reeve wollte, wusste ich nicht. Hobie hatte diese kannibalisierten und stark veränderten Stücke ( » Wechselbälger « , wie er sie nannte) praktisch sein gesamtes Arbeitsleben lang gebaut; das Lager am Brooklyn Naval Yard war randvoll gewesen mit Objekten, deren Etikette dreißig Jahre oder länger zurückreichten. Als ich zum ersten Mal allein dorthin gefahren war und ernsthaft herumgestöbert hatte, war ich wie vom Donner gerührt gewesen, Objekte zu entdecken, die aussahen wie echte Hepplewhites, echte Sheratons, eine Ali-Baba-Höhle, die vor Schätzen überquoll.
    » O Gott, nein « , sagte Hobie, dessen Stimme am Handy seltsam knisternd klang– das Lager war wie ein Bunker, kein Netz, sodass ich direkt nach draußen gegangen war und, einen Finger im Ohr, auf der zugigen Laderampe stand–, » glaub mir, wenn die echt wären, hätte ich schon längst die Abteilung für amerikanische Möbel bei Christie’s angerufen! «
    Seit Jahren hatte ich Hobies Wechselbälger bewundert und sogar mitgeholfen, einige von ihnen zu bauen, doch der Schock, von diesen zuvor ungesehenen Stücken getäuscht worden zu sein, erfüllte mich mit (um einen Lieblingsausdruck von Hobie zu bemühen) einer wilden Ahnung. Hin und wieder ging ein Stück von musealer Qualität durch die Werkstatt, das zu stark beschädigt war, um es zu restaurieren. Für Hobie, der diese eleganten alten Ruinen betrauerte, als wären sie unterernährte Kinder oder misshandelte Katzen, war es eine Frage der Pflicht zu retten, was zu retten war (ein Paar Blätterknäufe hier, ein Satz fein gedrechselter Beine dort), um es mit seinem Talent als Tischler und Schreiner zu wunderschönen jungen Frankensteins zusammenzubauen, die in manchen Fällen offenkundig verspielt und sonderlich, in anderen jedoch so getreue Modelle ihrer Zeit waren, dass man sie praktisch nicht von Originalen unterscheiden konnte.
    Säuren, Farbe, Goldgrund und Lampenruß, Wachs, Schmutz und Staub. Alte Nägel rosteten in Salzwasser. Salpetersäure für neues Walnussholz. Die Führungsnut mit Schmirgelpapier bearbeiten, ein paar Wochen unter der Höhensonne, um neues Holz hundert Jahre altern zu lassen. Aus fünf zerstörten Hepplewhite-Esszimmerstühlen konnte er einen soliden, absolut authentisch aussehenden Satz von acht machen, indem er die Originale auseinandernahm, die Einzelteile (aus Holz von anderen zerstörten Möbelstücken aus derselben Epoche) kopierte und die Stühle dann halb aus originalen, halb aus neuen Teilen zusammenbaute. ( » Ein Stuhlbein « , er strich mit dem Finger darüber, » ist typischerweise unten angestoßen und abgenutzt– selbst wenn man altes Holz verwendet, muss man mit einer Kette an die neu geschnittenen Beine gehen, wenn man will, dass sie zu den Originalen passen… ganz, ganz leicht, ich sage nicht, man soll wild darauf eindreschen… es gibt auch ein sehr charakteristisches Muster, die Vorderbeine sind in der Regel ein bisschen mehr angestoßen als die hinteren, siehst du? «

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