Der Distelfink
Das Schloss quietschte. Da stand die Einkaufstüte von Paragon Sporting Goods– das heraushängende Etikett des Zeltes, King Canopy, $ 43,99, genauso unberührt und neu aussehend wie vor acht Jahren, als ich es gekauft hatte. Und obwohl auch der Stoff des aus der Tasche hervorlugenden Kissenbezugs bei mir einen heftigen Kurzschluss auslöste, wie ein leichter Stromstoß an der Schläfe, war es vor allem der Geruch, der mich traf– denn der Pool-Folien-Gestank des Klebebands war durch den Einschluss in dem kleinen Raum erdrückend geworden, ein lange vergessener, Gefühle auslösender Polyvinylacetatgestank, der mich direkt zurück in meine Kindheit und mein Zimmer in Vegas katapultierte: Chemikalien und neuer Teppichboden, einschlafen und morgens aufwachen mit dem Gemälde, das am Kopfteil meines Bettes befestigt war, denselben Klebergeruch in der Nase. Ich hatte es seit Jahren nicht mehr geöffnet, und allein das Auspacken würde mit einem X-Acto-Messer zehn bis fünfzehn Minuten dauern, doch als ich überwältigt dastand (verloren und verwirrt, beinahe wie das eine Mal, als ich schlafwandelnd Pippas Zimmer betreten hatte, ohne zu wissen, was ich gedacht hatte oder machen sollte), war ich wie gelähmt von einem Drang, der an Delirium grenzte. Denn als das Bild nach so langer Zeit nur eine Handbreit entfernt wieder greifbar vor mir lag, fand ich mich unvermittelt auf einer gefährlichen Klippe der Sehnsucht wieder, von deren Existenz ich gar nichts gewusst hatte. Im Halbdunkel hatte das mumifizierte Bündel– das bisschen, was davon zu sehen war– eine zerklüftete, prägnante, seltsam persönliche Anmutung, nicht so sehr wie ein unbelebtes Objekt als vielmehr wie ein armes gefesseltes, hilfloses Geschöpf in der Dunkelheit, unfähig, um Hilfe zu rufen oder von seiner Rettung zu träumen. Seit ich fünfzehn war, war ich dem Gemälde nicht mehr so nahe gewesen, und einen Moment lang konnte ich mich nur mit größter Mühe zurückhalten, es zu nehmen, unter den Arm zu klemmen und damit hinauszugehen. Aber ich spürte die in meinem Rücken surrende Sicherheitskamera, ließ– mit einer raschen Bewegung– meine Redbreast-Flake-Dose in die Bloomingdale’s-Tüte fallen, zog die Tür zu und schloss ab. » Spül sie einfach im Klo runter, wenn du wirklich aufhören willst « , hatte Jeromes extrem scharfe Freundin Mya mir geraten, » sonst schleppst du deinen Arsch irgendwann um zwei Uhr nachts zu dem Lager « , aber als ich durch die Tür trat, leicht benommen und angekickt, waren Drogen das Letzte, was mich beschäftigte. Allein der Anblick des eingepackten Gemäldes, einsam und bemitleidenswert, hatte mein ganzes Ich auf den Kopf gestellt, als wäre ein Satellitensignal aus der Vergangenheit durchgekommen und hätte alle anderen Übertragungen blockiert.
XI
Obwohl meine (gelegentlichen) drogenfreien Tage verhindert hatten, dass meine Dosis zu stark eskaliert war, wurden die Entzugserscheinungen schneller als erwartet unangenehm, und selbst mit den Tabletten, die ich für den schrittweisen Ausstieg zurückgehalten hatte, verbrachte ich die nächsten paar Tage in ziemlich gedrückter Stimmung: Mir war zu übel, um etwas zu essen, und ich konnte nicht aufhören zu niesen. » Bloß eine Erkältung « , erklärte ich Hobie. » Mir geht es prima. «
» Nein, wenn du einen verdorbenen Magen hast, ist es die Grippe « , sagte Hobie grimmig, der gerade bei Bigelow Benadryl und Imodium besorgt hatte, dazu Cracker und Ginger Ale vom Jefferson Market. » Es gibt absolut keinen Grund– Gesundheit! Ich an deiner Stelle würde zum Arzt gehen, das steht fest. «
» Hör zu, es ist nur ein Virus. « Hobie hatte eine eiserne Konstitution; wenn er selbst irgendwas in den Knochen hatte, trank er einen Fernet-Branca und machte weiter.
» Mag sein, aber du hast den ganzen Tag kaum einen Bissen gegessen. Es hat keinen Sinn, hier unten rumzukrebsen und noch elender zu werden. «
Aber die Arbeit lenkte mich von meinem Unwohlsein ab. Ich wurde abwechselnd von Schüttelfrost und Hitzewallungen gepackt. Meine Nase lief, meine Augen tränten, ich hatte Zuckungen. Das Wetter war umgeschlagen, der Laden war voller Leute, Raunen und Schlendern, und die in den Straßen blühenden Bäume wirkten wie ein psychodelisches weißes Feuerwerk. Meine Hände an der Kasse waren meistens ruhig und fest, auch wenn ich mich innerlich krümmte. » Dein erstes Rodeo ist nicht das schlimmste « , hatte Mya mir erklärt. » Ungefähr beim dritten oder
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