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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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eine Menge Schulden hinterlassen, er ist mehr oder weniger aus der Stadt geflohen, ohne ein Wort zu sagen, und deshalb bin ich, offen gestanden, nicht ganz sicher, was Sie sich davon versprechen, Kontakt mit diesem intergalaktischen Vater und prachtvollen Bürger herzustellen… Ja. Ja, alles schön und gut, aber wenn die Gläubiger des Mannes ihn nicht aufstöbern können und wenn Ihre Dienststelle es nicht kann, dann weiß ich nicht genau, was damit gewonnen ist, dieses Kind immer weiter zu bedrängen, verstehen Sie? Können wir uns darauf verständigen, dass es aufhört? « ).
    Bestimmte Grundbestandteile des Ausnahmezustands, der seit meiner Ankunft in Kraft war, belasteten den Haushalt: Die Hausmädchen zum Beispiel durften während der Arbeit nicht mehr den Nachrichtensender Ten Ten WINS hören ( » Nein, nein « , sagte Etta, die Köchin, mit einem warnenden Blick in meine Richtung, als eine Putzfrau das Radio einschalten wollte), und die Times wurde morgens sofort zu Mr. Barbour gebracht und nicht liegen gelassen, damit der Rest der Familie sie lesen konnte. Offensichtlich war das nicht das übliche Verfahren– » Jemand hat schon wieder die Zeitung abgeschleppt « , heulte Andys kleine Schwester Kitsey, bevor ein Blick ihrer Mutter sie in betretenes Schweigen verfallen ließ–, und bald war mir klar, dass die Zeitung jetzt in Mr. Barbours Arbeitszimmer verschwand, weil Dinge darin standen, die man mich lieber nicht lesen lassen wollte.
    Gottlob verstand Andy, der schon öfter mein Gefährte in der Not gewesen war, dass ich nicht reden wollte. In den ersten Tagen brauchte er nicht zur Schule zu gehen; sie ließen ihn zu Haus bei mir bleiben. In seinem miefigen Zimmer mit der Karotapete und dem Etagenbett, wo ich als Grundschüler so manchen Samstagabend verbracht hatte, saßen wir vor dem Schachbrett, und Andy spielte für uns beide, denn ich war wie im Nebel und erinnerte mich kaum, wie die Figuren gezogen wurden. » Okay « , sagte er und schob die Brille auf der Nase nach oben. » Schön. Bist du absolut sicher, dass du das machen willst? «
    » Was machen? «
    » Ja, verstehe « , sagte Andy mit seiner aufreizenden, zarten Stimme, die im Laufe der Jahre so viele Schulhoftyrannen veranlasst hatte, ihn auf den Gehweg zu schubsen. » Dein Turm ist bedroht, das ist völlig korrekt, aber ich würde vorschlagen, du schaust dir deine Dame mal genauer an– nein, nein, deine Dame. D5. «
    Er musste mich mit meinem Namen ansprechen, damit ich auf ihn aufmerksam wurde. Wieder und wieder durchlebte ich den Augenblick, als meine Mutter und ich die Treppe zum Museum hinaufgelaufen waren. Ihr gestreifter Schirm. Der Regen, der uns prasselnd ins Gesicht wehte. Was passiert war, war unwiderruflich, das wusste ich, aber gleichzeitig war mir, als müsse es doch einen Weg geben, zu dieser regennassen Straße zurückzukommen und dafür zu sorgen, dass alles einen anderen Verlauf nahm.
    » Neulich « , sagte Andy, » hat jemand, und ich glaube wirklich, es war Malcolm Soundso oder irgendein anderer angeblich angesehener Schriftsteller– jedenfalls, er hat neulich eine riesige Welle in der Science Times gemacht und darauf hingewiesen, dass es mehr mögliche Schachpartien gibt als Sandkörner auf der ganzen Welt. Ist doch lächerlich, dass ein Wissenschaftsautor für eine große Zeitschrift es für nötig hält, eine derart offenkundige Tatsache breitzutreten. «
    » Stimmt. « Mit Mühe riss ich mich aus meinen Gedanken.
    » Ich meine, wer weiß denn nicht, dass die Zahl der Sandkörner auf diesem Planeten zwar riesig, aber nicht unendlich ist? Absurd, dass jemand ein solches Null-Thema überhaupt kommentiert, weißt du, als wäre es eine Nachrichtensensation. Stellt es in den Raum wie ein angeblich geheimwissenschaftliches Faktum. «
    Andy und ich waren auf der Grundschule unter mehr oder weniger traumatischen Umständen Freunde geworden: nachdem wir wegen guter Testergebnisse eine Klasse übersprungen hatten. Inzwischen waren sich anscheinend alle darin einig, dass es für uns beide ein Fehler gewesen war, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. In jenem Jahr– wir tapsten unter Jungen herum, die allesamt älter und größer waren als wir, die uns ein Bein stellten und schubsten und unsere Finger in die Spindtür einklemmten, die unsere Hausaufgaben zerrissen und in unsere Milch spuckten, die uns Tunte und Schwuchtel und Dickhead nannten ( » Pimmelkopf « , bei mir leider absolut naheliegend wegen meines Nachnamens,

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