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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Rücken. Die Schüler nannten sie » Swami « , und in unseren zweimal wöchentlich stattfindenden Therapiesitzungen hatte sie mir, abgesehen von dem Eiswürfel-Ratschlag, eine dreiteilige Atemübung beigebracht, die mir helfen sollte, an meine Gefühle heranzukommen, und mich ein Mandala malen lassen, das mein verwundetes Herz darstellen sollte. » Er hat sich den Kopf angeschlagen. Nicht wahr, Theo? «
    » Ist das wahr? « Ray blickte auf und sah mir offen ins Gesicht.
    » Ja. «
    » Hast du das von einem Arzt untersuchen lassen? «
    » Nicht sofort « , sagte Mrs. Swanson.
    Mrs. Barbour legte die Fußknöchel übereinander. » Ich bin mit ihm in die Notaufnahme des New York Presbyterian gefahren « , sagte sie kühl. » Als er zu mir kam, klagte er über Kopfschmerzen. Wir haben erst nach ungefähr einem Tag dafür gesorgt, dass nachgesehen wurde. Anscheinend war niemand auf die Idee gekommen, ihn zu fragen, ob er verletzt sei oder nicht. «
    Enrique, der Sozialarbeiter, hätte daraufhin beinahe etwas erwidert, aber der ältere Cop (soeben fällt mir wieder ein, wie er hieß: Morris) bedeutete ihm zu schweigen.
    » Hör zu, Theo « , sagte dieser Ray und tippte mir auf das Knie. » Ich weiß, du willst uns weiterhelfen. Du willst uns doch helfen, oder? «
    Ich nickte.
    » Super. Aber wenn wir dich etwas fragen und du weißt es nicht? Dann ist es okay, wenn du sagst, du weißt es nicht. «
    » Wir wollen bloß einen Haufen Fragen auf den Tisch bringen und sehen, ob wir da irgendwas aus deinem Gedächtnis fischen können « , sagte Morris. » Kriegst du das hin? «
    » Brauchst du was? « Ray beäugte mich eindringlich. » Ein Glas Wasser vielleicht? Einen Softdrink? «
    Ich schüttelte den Kopf– auf dem Schulgelände waren Softdrinks nicht erlaubt–, und im selben Moment sagte Mr. Beeman: » Auf dem Schulgelände sind Softdrinks nicht erlaubt. «
    Ray zog ein Gesicht, das sagte: Verschonen Sie mich mit so was, ja?, aber ich war nicht sicher, ob Mr. Beeman es sah oder nicht. » Tut mir leid, Junge, ich hab’s versucht « , sagte er und wandte sich wieder mir zu. » Ich laufe rüber zum Deli und hole dir einen Softdrink, wenn du nachher einen willst, okay? Also. « Er klatschte in die Hände. » Wie lange, glaubst du, wart deine Mutter und du vor der ersten Explosion im Museum? «
    » Ungefähr eine Stunde, schätze ich. «
    » Schätzt du oder weißt du? «
    » Ich schätze. «
    » War es eher mehr als eine Stunde oder weniger als eine Stunde? «
    » Ich glaube nicht, dass es mehr als eine Stunde war « , sagte ich nach einer langen Pause.
    » Erzähl uns, wie du dich an das Ereignis erinnerst. «
    » Ich habe nicht gesehen, was passiert ist « , sagte ich. » Alles war prima, und dann gab es einen lauten Blitz und einen Knall… «
    » Einen lauten Blitz? «
    » Das meinte ich nicht. Ich wollte sagen, der Knall war laut. «
    » Ein Knall, sagst du. « Morris rückte näher an mich heran. » Glaubst du, du könntest uns vielleicht ein bisschen detaillierter beschreiben, wie dieser Knall sich angehört hat? «
    » Ich weiß es nicht. Einfach… laut « , fügte ich hinzu, als sie mich weiter anstarrten, als erwarteten sie ein bisschen mehr.
    In der Stille, die jetzt folgte, hörte ich ein verstohlenes Klicken: Mrs. Barbour warf mit gesenktem Kopf einen diskreten Blick auf die Nachrichten in ihrem BlackBerry.
    Morris räusperte sich. » Was ist mit einem Geruch? «
    » Wie bitte? «
    » Hast du in den Augenblicken davor irgendeinen speziellen Geruch wahrgenommen? «
    » Ich glaube nicht. «
    » Überhaupt nichts? Bist du sicher? «
    Während die Fragerei weiterging– immer wieder das Gleiche, nur in leicht veränderter Reihenfolge, um mich zu verwirren, und ab und zu mit etwas Neuem dazwischen–, wappnete ich mich und wartete hoffnungslos darauf, dass sie auf das Gemälde zu sprechen kamen. Ich würde es einfach zugeben und mich den Konsequenzen stellen müssen, wie immer diese Konsequenzen aussehen mochten (wahrscheinlich waren sie finster, denn ich war auf dem besten Wege, zu einem staatlichen Mündel gemacht zu werden). Zweimal war ich in meiner Angst kurz davor, damit herauszuplatzen. Aber je mehr Fragen sie mir stellten (Wo war ich, als ich den Schlag an den Kopf bekam? Wen hatte ich auf dem Weg nach unten gesehen, mit wem hatte ich gesprochen?), desto klarer wurde mir, dass sie nicht die leiseste Ahnung von dem hatten, was mir passiert war– in welchem Raum ich gewesen war, als die Explosion stattfand,

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