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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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ein ausgezeichnetes Schaubild in meinem Arbeitszimmer, das ich dir gern zeige. Zieh nicht dieses Gesicht, Andy. Es ist absolut nützlich für jeden Jungen, sich damit auszukennen. «
    » Das stimmt allerdings. Wenn er einen vorüberfahrenden Schlepper anrufen muss. «
    » Deine neunmalklugen Bemerkungen gehen mir auf die Nerven « , sagte Mr. Barbour, aber er sah eher traurig als verärgert aus. » Außerdem « , fuhr er fort und wandte sich an mich, » ich glaube, du würdest dich wundern, wie oft diese nautischen Flaggen in Paraden und in Filmen auftauchen und– ich weiß nicht– auf der Bühne. «
    Andy verzog das Gesicht. » Auf der Bühne « , sagte er höhnisch.
    Mr. Barbour sah ihn an. » Jawohl, auf der Bühne. Findest du diesen Ausdruck amüsant? «
    » Aufgeblasen trifft es viel besser. «
    » Tja, ich fürchte, ich kann nicht erkennen, was du daran so aufgeblasen findest. Es ist jedenfalls genau der Ausdruck, den deine Urgroßmutter benutzt hätte. « (Mr. Barbours Großvater war aus dem Who Is Who gestrichen worden, weil er Olga Osgood geheiratet hatte: Sie war eine kleine Filmschauspielerin gewesen.)
    » Genau das meine ich. «
    » Und wie soll ich mich dann deiner Ansicht nach ausdrücken? «
    » Ehrlich gesagt, Daddy, was ich wirklich gern wissen würde, ist: Wann hast du das letzte Mal in irgendeiner Theateraufführung Signalflaggen gesehen? «
    » In South Pacific, dem Musical « , erwiderte Mr. Barbour prompt.
    » Außer in South Pacific. «
    » Ich sage nichts weiter. «
    » Ich glaube nicht, dass Mutter und du South Pacific je gesehen habt. «
    » Herrgott noch mal, Andy. «
    » Na, und selbst wenn. Ein Beispiel reicht nicht als Beleg für deine Behauptung. «
    » Ich weigere mich, dieses absurde Gespräch fortzusetzen. Komm, Theo. «
    VII
    Von diesem Augenblick an gab ich mir besonders große Mühe, ein guter Gast zu sein: Ich machte morgens mein Bett, ich sagte immer danke und bitte und tat alles, was meine Mutter von mir erwarten würde. Leider war der Haushalt der Barbours nicht gerade einer von denen, wo man seine Dankbarkeit zeigen konnte, indem man auf die jüngeren Geschwister aufpasste oder beim Geschirrspülen half. Angefangen mit der Frau, die sich um die Pflanzen kümmerte– ein deprimierender Job, denn die Wohnung bekam so wenig Licht, dass die meisten Pflanzen eingingen–, bis zu Mrs. Barbours Assistentin, deren Hauptaufgabe anscheinend darin bestand, die Schränke aufzuräumen oder die Porzellansammlung neu zu sortieren, hatten sie an die acht Leute, die für sie arbeiteten. (Als ich Mrs. Barbour mal nach dem Raum mit der Waschmaschine fragte, sah sie mich an, als hätte ich nach Lauge und Fett gefragt, um Seife zu sieden.)
    Aber obwohl nichts von mir verlangt wurde, war die Anstrengung, mich in ihren lupenreinen und komplizierten Haushalt einzufügen, eine immense Belastung. Ich war verzweifelt bemüht, im Hintergrund zu verschwinden– mich wie ein Fisch in einem Korallenriff unsichtbar in die Chinoiserien der Inneneinrichtung einzufügen–, aber trotzdem zog ich anscheinend hundert Mal am Tag ungewollt die Aufmerksamkeit auf mich. Ich musste nach jeder Kleinigkeit fragen: nach einem Waschlappen, einem Pflaster, einem Bleistiftspitzer. Ich hatte keinen Schlüssel und musste immer klingeln, wenn ich kam und ging. Selbst der gut gemeinte Versuch, morgens mein Bett zu machen, führte dazu, dass Mrs. Barbour mir erklärte, es sei besser, diese Arbeit Irenka oder Esperanza zu überlassen, weil sie daran gewöhnt wären und die Ecken besser hinbekämen. Ich brach einen Endknopf an einem antiken Kleiderständer ab, als ich eine Tür zu weit aufriss. Zweimal gelang es mir, den Einbrecheralarm auszulösen, und einmal tappte ich sogar zu Mr. und Mrs. Barbour ins Zimmer, als ich das Bad suchte.
    Zum Glück waren Andys Eltern so selten da, dass meine Anwesenheit ihnen anscheinend nicht besonders zur Last fiel. Wenn Mrs.Barbour keine Gäste hatte, verließ sie die Wohnung gegen elf Uhr vormittags. Zwei Stunden vor dem Abendessen schaute sie wieder herein, auf einen Gin-and-Lime und einen » Sprung in die Wanne « , wie sie es nannte, und dann war sie wieder weg und kam erst nach Hause, als wir schon im Bett waren. Von Mr. Barbour sah ich noch weniger, außer an den Wochenenden und wenn er nach der Arbeit mit seinem in eine Serviette gehüllten Glas Club Soda herumsaß und darauf wartete, dass Mrs. Barbour ihre Abendgarderobe anzog.
    Mit Abstand das größte Problem für mich waren Andys

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