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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Malt habe mir zermahlenes Glas ins Essen getan, weil ich disziplinlos gewesen war– in der Welt meines Traums eine völlig logische Folge von Ereignissen–, und ich hatte zwei oder drei Minuten lang mit wirren Sorgen dagelegen, bevor ich zur Besinnung kam.
    » Andy? « , sagte ich, und dann beugte ich mich über den Rand und spähte hinunter zum unteren Bett. Es war leer.
    Ich blieb noch eine Zeitlang mit weit aufgerissenen Augen liegen und starrte zur Decke, und dann kletterte ich hinunter, holte den Ring aus der Tasche meiner Schuljacke und hielt ihn ins Licht, um die Gravierung anzuschauen. Schließlich steckte ich ihn hastig wieder ein und zog mich an. Andy saß mit den übrigen Barbours am Frühstückstisch. Das Sonntagsfrühstück war für sie eine wichtige Veranstaltung, und ich hörte sie alle im Esszimmer. Mr. Barbour schwafelte undeutlich herum, wie er es manchmal tat, und hielt einen kleinen Vortrag. Ich blieb in der Diele stehen und ging dann in die andere Richtung, ins Wohnzimmer der Familie, wo ich das Telefonbuch in seinem Petitpoint-Umschlag aus dem Schränkchen unter dem Telefon hervorzog.
    Hobart and Blackwell. Da war es, offenbar eine Firma, auch wenn aus der Eintragung nicht hervorging, was für eine. Mir wurde ein bisschen schwindlig. Als ich den Namen schwarz auf weiß vor mir sah, überkam mich ein merkwürdiges Kribbeln, als ob unsichtbare Karten plötzlich an ihren Platz fielen.
    Die Adresse war im Village, West 10th Street. Nach einigem Zögern und mit großer Beklommenheit wählte ich die Nummer.
    Während es klingelte, stand ich da und spielte an der Reiseuhr aus Messing herum, die auf dem Wohnzimmertisch stand, nagte an der Unterlippe und betrachtete die gerahmten Lithographien mit tropischen Vögeln an der Wand über dem Telefontisch: Kolibris, Papageien, Paradiesvögel. Ich wusste nicht genau, wie ich erklären würde, wer ich war und was ich wissen wollte.
    » Theo? «
    Schuldbewusst schrak ich zusammen. Mrs. Barbour– in spinnwebgrauem Cashmere– war hereingekommen und hielt eine Kaffeetasse in der Hand.
    » Was machst du da? «
    Am anderen Ende klingelte das Telefon immer noch. » Nichts « , sagte ich.
    » Na, dann beeil dich. Dein Frühstück wird kalt. Etta hat French Toast gemacht. «
    » Danke « , sagte ich. » Ich bin gleich da « , und im selben Moment hörte ich die Automatenstimme der Telefongesellschaft, die mich ersuchte, später noch einmal anzurufen.
    Ich hatte gehofft, dass wenigstens ein Anrufbeantworter sich melden würde. In Gedanken versunken ging ich zu den Barbours hinein und sah überrascht, dass kein anderer als Platt Barbour (viel dicker und röter als bei unserer letzten Begegnung) auf dem Stuhl saß, der sonst immer meiner gewesen war.
    » Ah « , sagte Mr. Barbour. Er hatte mitten im Satz innegehalten, betupfte seine Lippen mit der Serviette und sprang auf. » Da sind wir ja, da sind wir ja. Guten Morgen. Du erinnerst dich an Platt, oder? Platt, das ist Theodore Decker– Andys Freund, du erinnerst dich? « Während er redete, war er davonspaziert und kam jetzt mit einem Extrastuhl für mich zurück, den er ungeschickt unter die spitze Ecke des Tisches klemmte.
    Ich ließ mich an den Ausläufern der Gruppe nieder– eine knappe Handbreit niedriger als der Rest auf meinem zerbrechlichen Bambusstuhl, der nicht zu den anderen passte–, und Platt sah mich ohne großes Interesse an und schaute dann weg. Er war wegen einer Party von der Schule nach Hause gekommen und sah verkatert aus.
    Mr. Barbour hatte sich wieder hingesetzt und redete weiter über sein Lieblingsthema, das Segeln. » Wie ich eben sagte. Es läuft alles auf mangelndes Zutrauen hinaus. Du bist unsicher auf dem Kielboot, Andy, und dafür gibt es verdammt keinen Grund, außer dass dir die Erfahrung als Einhandsegler fehlt. «
    » Nein « , sagte Andy mit seiner weit entfernten Stimme. » Das Problem besteht im Wesentlichen darin, dass ich Boote nicht ausstehen kann. «
    » Papperlapapp « , sagte Mr. Barbour und zwinkerte mir zu, als sei ich in einen Witz eingeweiht, den ich gar nicht kannte. » Diese angeödete Attitüde kaufe ich dir nicht ab! Sieh dir doch das Bild an der Wand da an, unten bei Sanibel, im Frühling vor zwei Jahren! Dieser Junge war nicht gelangweilt von der See und dem Himmel und den Sternen, no, sir! «
    Andy saß da und betrachtete die Schneeszene auf dem Etikett der Ahornsirupflasche, während sein Vater auf seine schwindelerregende, schwer zu verfolgende Art davon

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