Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
macht. Das wird dir die Medizin aus dem Leib spülen. Judy Garland? Vor dem Auftritt? Na, meine Großmutter hat mir erzählt, Sid Luft rief immer unten im chinesischen Restaurant an und ließ eine große Kanne Tee heraufbringen, um die Barbiturate aus ihr hinauszuschwemmen; das war in London, glaube ich, im Palladium, und starker Tee war das Einzige, was half, denn manchmal hatten sie Mühe, sie zu wecken, weißt du, sie überhaupt aus dem Bett zu kriegen und anzuziehen… «
    » So kann er das nicht trinken, das ist die reinste Batteriesäure « , sagte Mrs. Barbour und gab zwei Würfel Zucker und einen großen Schuss Sahne in die Tasse, bevor ich sie bekam. » Theo, ich komme ungern immer wieder mit derselben Leier, aber du musst wirklich etwas essen. «
    » Okay « , sagte ich schläfrig, machte aber keine Anstalten, in meinen Blaubeer-Muffin zu beißen. Alles schmeckte wie Pappe, und ich hatte seit Wochen keinen Hunger mehr.
    » Möchtest du lieber einen Zimttoast? Oder Haferflocken? «
    » Es ist absolut albern, dass du uns keinen Kaffee trinken lässt « , sagte Andy, der die Gewohnheit hatte, sich auf dem Weg zur Schule bei Starbucks einen Grande to go zu kaufen und nachmittags auf dem Heimweg noch einen, ohne dass seine Eltern davon wussten. » Du hinkst in diesem Punkt weit hinter der Zeit her. «
    » Mag sein « , sagte Mrs. Barbour kalt.
    » Schon eine halbe Tasse würde helfen. Man kann vernünftigerweise nicht erwarten, dass ich morgens um Viertel vor neun ohne Koffein in den fortgeschrittenen Chemiekurs gehe. «
    » Schluchz, schluchz « , sagte Mr. Barbour, ohne von der Zeitung aufzublicken.
    » Deine Einstellung ist nicht sehr hilfreich. Alle andern dürfen welchen trinken. «
    » Ich weiß zufällig, dass das nicht stimmt « , sagte Mrs. Barbour. » Bety Ingersoll hat mir erzählt… «
    » Vielleicht erlaubt Mrs. Ingersoll nicht, dass Sabine Kaffee trinkt, aber man würde wohl auch sehr viel mehr als eine Tasse Kaffee brauchen, um Sabine Ingersoll in irgendeinen Fortgeschrittenenkurs zu kriegen. «
    » Das war unangebracht, Andy, und sehr unfreundlich. «
    » Aber es ist nur die Wahrheit « , sagte Andy kühl. » Sabine ist dumm wie Bohnenstroh. Ich nehme an, es ist gut, dass sie auf ihre Gesundheit achtet, denn sonst hat sie wenig vorzuweisen. «
    » Verstand ist nicht alles, mein Schatz. Würdest du denn ein Ei essen, wenn Etta dir eins pochiert? « , fragte Mrs. Barbour und sah mich an. » Oder ein Spiegelei? Rührei? Oder wie du es sonst magst? «
    » Ich mag Rührei! « , sagte Toddy. » Ich kann vier Eier essen! «
    » Nein, kannst du nicht, Kollege « , sagte Mr. Barbour.
    » Doch, kann ich doch! Ich kann sechs essen! Den ganzen Karton! «
    » Es ist ja nicht so, als wollte ich Dexedrin haben « , sagte Andy. » Obwohl ich in der Schule welches kriegen könnte, wenn ich wollte. «
    » Theo? « , sagte Mrs. Barbour. Ich sah, dass Etta, die Köchin, in der Tür stand. » Was ist mit dem Ei? «
    » Niemand fragt jemals uns, was wir zum Frühstück haben möchten « , sagte Kitsey, und obwohl sie sehr laut gesprochen hatte, taten alle so, als hätten sie nichts gehört.
    XI
    Am Sonntagmorgen kletterte ich aus einem drückenden und verworrenen Traum ins Licht hinauf, von dem nichts mehr übrig war als ein Klingen in meinen Ohren und das schmerzhafte Gefühl, dass mir etwas aus den Händen geglitten und in eine Spalte gefallen war, wo ich es niemals wiedersehen würde. Aber irgendwie– inmitten dieses tiefen Versinkens, der zerrissenen Fäden, der verlorenen, unauffindbaren Bruchstücke– ragte ein Satz herauf, kam tickend durch die Dunkelheit wie das Laufband am unteren Rand eines Fernsehbildes: Hobart and Blackwell. Läute die grüne Glocke.
    Ich lag da, starrte an die Decke und wollte mich nicht rühren. Die Worte waren da, so klar und frisch, als hätte sie mir jemand auf einem Blatt Papier gedruckt überreicht. Und das Wunderbarste war, ein Feld vergessener Erinnerungen hatte sich geöffnet und war mit ihnen an die Oberfläche getrieben wie eins von diesen Papierkügelchen aus Chinatown, die aufblühen und sich in eine Blüte verwandeln, wenn man sie in ein Glas Wasser wirft.
    Ich schwebte in dieser bedeutungsvoll aufgeladenen Atmosphäre, und Zweifel erfassten mich: War es eine echte Erinnerung, hatte er diese Worte wirklich zu mir gesagt, oder war es ein Traum? Nicht lange vor dem Tod meiner Mutter war ich beim Aufwachen überzeugt gewesen, eine (nicht existierende) Lehrerin namens Mrs.

Weitere Kostenlose Bücher