Der Distelfink
in der stagnierenden, von Antiquitäten erfüllten Dunkelheit und wusste nicht, was ich sagen sollte.
Anscheinend wusste er es auch nicht. Er machte den Mund auf und klappte ihn wieder zu, und dann schüttelte er den Kopf, als wolle er ihn klären. Er war schätzungsweise fünfzig oder sechzig Jahre alt, schlecht rasiert, und sein schüchternes, freundliches, großflächiges Gesicht war weder hübsch noch unscheinbar. Er würde immer größer sein als die meisten anderen Männer in einem Raum, aber er wirkte doch auf eine feuchtkalte, kaum zu definierende Weise ungesund mit seinen schwarzen Augenringen und einer Blässe, die mich an die jesuitischen Märtyrer erinnerte, die ich auf einer Klassenreise nach Montreal auf den Wandgemälden in einer Kirche gesehen hatte: große, kompetent aussehende, totenbleiche Europäer am Marterpfahl in den Lagern der Huronen.
» Tut mir leid, hier herrscht im Moment ein bisschen Chaos… « Er sah sich mit einer unbestimmten, auf nichts gerichteten Dringlichkeit um, wie meine Mutter es tat, wenn sie etwas verlegt hatte. Seine Stimme klang rau, aber gebildet, wie die meines Geschichtslehrers, Mr. O’Shea, der in einer wilden Gegend von Boston aufgewachsen, aber schließlich nach Harvard gegangen war.
» Ich kann noch mal wiederkommen. Wenn das besser passt. «
Jetzt sah er mich mit leisem Schrecken an. » Nein, nein « , sagte er. Seine Manschettenknöpfe waren offen, und die Manschetten baumelten lose und schmuddelig um seine Handgelenke. » Gib mir nur einen Moment Zeit, damit ich mich sammeln kann, sorry– hier « , verwirrt strich er sich eine einzelne graue Haarsträhne aus dem Gesicht, » hier wären wir. «
Er führte mich zu einem schmalen, hart aussehenden Sofa mit schneckenförmig geschnörkelten Arm- und holzgeschnitzter Rückenlehne. Aber es verschwand halb unter Kopfkissen und Decken, und anscheinend begriffen wir beide im selben Moment, dass es nicht so einfach wäre, sich in dem Gewühl von Bettzeug hinzusetzen.
» Ah, sorry « , murmelte er und machte so schnell einen Schritt zurück, dass wir beinahe zusammengestoßen wären. » Ich habe mein Lager hier drin aufgeschlagen, wie du siehst– nicht die beste Lösung der Welt, aber ich musste mich begnügen, denn ich kann nicht richtig hören bei all dem Betrieb… «
Er wandte sich ab (sodass mir der Rest des Satzes entging), trat um ein Buch herum, das aufgeklappt mit den Seiten nach unten auf dem Teppich lag, und wich einer Teetasse mit einem braunen Ring innen am Boden aus und führte mich stattdessen zu einem zierlichen Sessel mit Raffungen und Biesen, Fransen und einer kompliziert mit Knöpfen besetzten Sitzfläche– einem türkischen Sessel, wie ich später lernte. Er war einer der wenigen Leute in New York, die so etwas noch polstern konnten.
Geflügelte Bronzen. Silberner Nippes. Staubgraue Straußenfedern in einer Silbervase. Unsicher hockte ich mich auf die Sesselkante und sah mich um. Lieber wäre ich stehen geblieben, weil ich dann leichter wieder gehen könnte.
Er beugte sich vor und klemmte die Hände zwischen die Knie. Aber statt etwas zu sagen, schaute er mich nur an und wartete.
» Ich bin Theo « , sagte ich hastig nach zu langem Schweigen. Mein Gesicht war so heiß, als wollte es gleich in Flammen aufgehen. » Theodore Decker. Alle nennen mich Theo. Ich wohnte in Uptown Manhattan « , fügte ich zweifelnd hinzu.
» Tja, ich bin James Hobart, aber alle nennen mich Hobie. « Sein Blick war betrübt und entwaffnend. » Ich wohne in Downtown Manhattan. «
Ratlos schaute ich weg. Ich wusste nicht genau, ob er sich lustig machte.
» Sorry. « Er schloss die Augen für einen Moment und öffnete sie dann wieder. » Achte nicht auf mich. Welty « , er warf einen Blick auf den Ring in seiner Hand, » war mein Geschäftspartner. «
War? Die Mondphasenuhr– surrende Zahnräder, Ketten und Gewichte, eine Apparatur wie aus Kapitän Nemos U-Boot– schnarrte laut durch die Stille, bevor sie die Viertelstunde schlug.
» Oh « , sagte ich. » Ich hatte bloß… ich dachte… «
» Nein, es tut mir leid. Du wusstest es nicht? « Er sah mich forschend an.
Ich schaute weg. Mir war nicht klar gewesen, wie sehr ich damit gerechnet hatte, den alten Mann wiederzusehen. Trotz allem, was ich gesehen hatte– was ich wusste–, war es mir immer noch gelungen, die kindliche Hoffnung zu hegen, er sei irgendwie durchgekommen, wunderbarerweise, wie ein Mordopfer im Fernsehen, das nach der Werbepause plötzlich
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