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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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zerklüfteter Oberfläche, einem Blumenkohl nicht unähnlich. Es schwang bei jeder Bewegung des Pferdes sanft hin und her.
    Keine Schwierigkeit, das Ding zu entfernen; ein paar Kubikzentimeter Lokalanästhesie, und ich konnte es mit den Löffeln herausdrehen.
    Die Sache hatte nur einen Haken: ich mußte unter diese glänzende Tonne von Bauch kriechen – in Reichweite der großen Hufe – und mit der Nadel in die Haut über der Geschwulst stechen. Keine sehr angenehme Vorstellung.
    Ich zwang mich, an praktische Dinge zu denken. Was ich vor allem brauchte, was heißes Wasser, Seife und Handtuch. Und einen kräftigen Mann für die Lippenbremse. Ich ging zum Haus hinüber.
    Auf mein Klopfen rührte sich nichts. Ich versuchte es noch einmal – wieder erfolglos. Nun hielt ich es für die natürlichste Sache der Welt, die Operation auf einen anderen Tag zu verschieben. Der Gedanke, daß in den Wirtschaftsgebäuden oder auf den Feldern jemand sein könnte, kam mir überhaupt nicht.
    Ich ging, besser gesagt, ich rannte zum Wagen, wendete mit quietschenden Reifen und ratterte davon.
    Siegfried war erstaunt. »Niemand da? Komisch, ich bin sicher, daß von heute die Rede war. Na, macht nichts, ich überlasse es Ihnen, James. Rufen Sie Wilkinson an und verabreden Sie so bald wie möglich einen Termin.«
    Es war herrlich einfach, den Hengst im Lauf der folgenden Tage und Wochen zu vergessen, nur vergaß ich ihn leider nicht ganz. Mindestens einmal in der Nacht donnerte er mit geblähten Nüstern und fliegender Mähne durch meine Träume, und ich entwickelte die unangenehme Angewohnheit, um fünf Uhr morgens aus dem Schlaf zu fahren und in Gedanken das Pferd zu operieren.
    Ich sagte mir, es wäre bedeutend einfacher, einen Termin zu vereinbaren und die Sache hinter mich zu bringen. Worauf wartete ich eigentlich? Hoffte ich vielleicht im Unterbewußtsein, daß ich es nur lange genug hinauszuschieben brauchte, damit irgend etwas passierte und ich aus allen Schwierigkeiten heraus wäre? Der Tumor konnte einfach abfallen oder schrumpfen und verschwinden, oder das Pferd konnte tot umfallen.
    Ich hätte Siegfried den Fall übergeben können – er wußte gut mit Pferden umzugehen –, aber ich litt sowieso schon an Minderwertigkeitskomplexen.
    Die Entscheidung fiel, als Mr. Wilkinson eines Morgens anrief. Er war nicht im geringsten ärgerlich über die Verzögerung, sagte jedoch rundheraus, daß er nicht länger warten könne. »Sehen Sie, junger Mann, ich will das Pferd verkaufen, aber dazu muß erst mal dieses Baumelding weg, verstehen Sie?«
    Meine Fahrt zu Wilkinson wurde nicht heiterer durch das vertraute Klappern des Tabletts auf dem Rücksitz; es erinnerte mich an das letzte Mal, als ich überlegte, was mir wohl bevorstünde. Jetzt wußte ich es.
    Als ich aus dem Wagen stieg, kam ich mir körperlos vor. Mir schien, daß ich ein paar Zoll über dem Boden schwebte. Aus dem Stall drang ein ohrenbetäubender Lärm: das gleiche wütende Wiehern und splitternde Krachen, das ich schon einmal gehört hatte. Ich versuchte mich zu einem Lächeln zu zwingen, als ich den Bauern begrüßte.
    »Meine Burschen legen ihm einen Halfter um«, sagte er, aber seine Worte wurden durch wilde Proteste aus der Box und zwei donnernde Schläge gegen die Holzwände fast übertönt. Ich fühlte, wie mir die Zunge am Gaumen klebte.
    Der Lärm kam näher; dann flogen die Stalltüren auf, das riesige Pferd schoß heraus und schleifte zwei kräftige Burschen am Halftergriff hinter sich her. Die Kopfsteine sprühten Funken unter den Stiefeln der schlitternden Männer. Ich hatte das Gefühl, daß der Boden unter meinen Füßen bebte, so stark stampften die Hufe auf die Steine.
    Nach vielem Hin und Her brachten die Männer das Pferd endlich zum Stehen. Einer der beiden schob die Bremse auf die Oberlippe des Hengstes und zog sie fachmännisch fest; der andere packte den Halfter und rief mir zu: »So, Sie können anfangen, Sir.«
    Ich durchstach die Gummikappe auf der Kokainflasche, zog den Kolben der Spritze zurück und beobachtete, wie die klare Flüssigkeit in den Glaszylinder floß. Sieben, acht, zehn Kubikzentimeter. Wenn es mir gelang, soviel zu injizieren, war das übrige einfach. Trotzdem zitterten mir die Hände.
    Nun näherte ich mich dem Pferd, und mir war, als beobachtete ich eine Filmszene. Der Mann, der hier ging, war gar nicht ich – das Ganze war etwas Unwirkliches. Das mir zugewandte Auge des Hengstes flackerte gefährlich, als ich mit der linken

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