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Der Domino-Killer

Der Domino-Killer

Titel: Der Domino-Killer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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Fassungslosigkeit. Es sah aus, als wäre sein Gesicht aus Ton, als hätte ihm jemand einen Gefühlsstempel hineingedrückt. Ich war mir nicht sicher, ob das, was ich zu sehen glaubte, wirklich da war: Alan, bewegungslos wie eine Schaufensterpuppe, und vor ihm auf dem Küchentisch eine Patience ausgelegt. Pik König. Pik Königin. Kreuz Zwei. Sie lagen genauso da wie bei der Partie, die ich an meinem eigenen Küchentisch gespielt hatte, als JPP mich in meiner Wohnung in Brooklyn überfiel. Die Karten und die Dominosteine darauf hatten sich in jener Nacht tief in mein Gedächtnis eingebrannt, eine unauslöschliche Momentaufnahme.
    In Zeitlupe bewegte ich mich auf Alan zu; zumindest glaubte ich, ich würde mich bewegen. Vielleicht kam mir das auch nur so vor.
    «Alan», flüsterte ich, «was machst du hier?»
    Das Licht spiegelte sich in seinen Augen, das Weiße darin leuchtete, aber sie sahen starr geradeaus, während ich mich näherte. Langsam. Ich hatte zu viel Angst, um schneller auf ihn zuzugehen. Mein Instinkt sagte mir, dass alles möglich war, alles geschehen konnte. Ich musste vorbereitet sein.
    «Alan?»
    Ich stand jetzt ganz dicht vor ihm. Unter meinem nächsten Schritt knarrte der Fußboden. Alan bewegte sich ein klein wenig, als ob er mich nun doch noch begrüßen wollte. Erleichterung durchströmte mich, allerdings nur für einen winzigen Moment.
    Etwas Dunkles war plötzlich an seinem rechten Mundwinkel, verlief in der Richtung, in die sein Körper sich bewegt hatte. Sammelte sich an seinem Kinn und tropfte herunter.
    Ich zog meinen Fuß von dem losen Dielenbrett herunter, aber Alan richtete sich nicht wieder auf, und das Blut rann nicht zurück in seinen Mund.
    So steif, wie er war, musste er schon mindestens drei Stunden tot sein. Zuletzt hatte ich ihn vor sechzehn Stunden gesehen, am Morgen noch, ungefähr bei Sonnenaufgang, als er nach Hause gefahren war, um zu schlafen. Mac war gegen ein Uhr Mittag bei meinen Eltern gewesen. War er danach zu Alan gefahren? War der da schon wieder wach gewesen, und hatte Mac ihn mitgenommen?
    Ich machte drei Schritte nach rechts und sah, dass Alan in einer Blutlache saß. Es gab keine offensichtlichen Verletzungen, seine Kleidung zeigte keine Risse, Wunden waren nicht zu erkennen; es sah aus, als würde das Blut aus seinen Körperöffnungen dringen.
    Mir gefror das Blut in den Adern, und die Kälte ergriff auch von meinen Muskeln Besitz, während ich dort stand und Alans aufgerichtete Leiche betrachtete. Ich war so versteinert, wie er aussah. Wir hatten auf der Polizeiakademie wochenlang geübt, diese Schreckensstarre zu überwinden, hatten unserem Gehirn antrainiert, unseren Körper zu bewegen, trotz des Entsetzens, das unser Bewusstsein lähmte. Es war das gleiche Entsetzen, das einen Menschen reglos verharren ließ, wenn ein Auto direkt auf ihn zuraste. Ihn handlungsunfähig machte, wenn nachts ein Fremder ins Haus eindrang. Ihn paralysierte, wenn er ein Kind hinter seinem Ball auf die Straße laufen sah. Ich ging einen Schritt nach vorn, mitten hinein in den Sturm nackter Angst. Machte noch einen Schritt, obwohl mein Verstand sich abschalten wollte. Und noch einen.
    Ich kniete mich neben Alans Füße: schwarze Turnschuhe, noch ziemlich neu. Man hatte uns beigebracht, die Waffe am rechten Knöchel zu tragen, am linken bei Linkshändern. Ich rief mir ins Gedächtnis, wie Alan gestern die Maus am Computer geführt hatte, als er uns die Dokumente zeigte. Zitternd hob ich sein rechtes Hosenbein an: Das Holster war leer.
    Ich stand auf. Zwang mich zu atmen. Fühlte, wie die Luft in meine Lungen drang, fühlte, wie mein Blut auftaute und wieder zirkulierte. Trat zurück und betrachtete die leere Hülle, die einmal Alan gewesen war. Dachte an Lizzie Stoppard, die jemand auf ähnlich unauffällige Weise umgebracht hatte.
    Dachte an Mac.
    Dachte an Susanna.
    Falls die beiden ebenfalls im Haus waren, musste ich sie finden. Selbst wenn sie schon tot waren. Selbst wenn es mein eigenes Leben kosten würde.
    Durch eine geöffnete Tür, die von der Küche abging, sah ich in ein Badezimmer. Ich stieß die Tür ganz auf. Ein rissiges weißes Waschbecken. Eine alte Toilette. Eine verrostete Duschkabine, in der sich Wassertropfen gesammelt hatten – also war sie erst kürzlich benutzt worden.
    Ein kurzer Flur verband die Küche mit einem Wohnzimmer. Vom Flur gingen noch zwei weitere Türen ab. Die erste stand etwas offen, dahinter nur Dunkelheit; ich drückte sie weiter auf, heraus

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