Der Domino-Killer
angesichts meines sehnlichen Wunsches, allem entfliehen zu können, jetzt ziemlich absurd erschien.
«Was für Medikamente?», fragte ich, weil ich dieses Gespräch nicht mehr ertragen konnte. Joyce wollte, dass ich ihr meine Selbstmordgedanken genau beschrieb: wie, wo, wann. Sie versuchte, mich in die Ecke zu drängen. Ich sollte die Verantwortung dafür übernehmen, was ich getan hatte oder möglicherweise noch tun würde. Was sie genau von mir wollte, wusste ich nicht; aber diese Gedanken, diese Gefühle gehörten mir . Ich lebte schon so lange mit ihnen, dass sich dieser Zustand normal anfühlte. Ich war nicht sicher, ob ich sie aufgeben wollte. Während ich so dasaß, ihr gegenüber, fühlte ich mich leer und matt, und das war genau der Zustand, den sie beenden wollte.
«Antidepressiva. Zuerst versuchen wir es mit Prozac. Jeder reagiert ein bisschen anders darauf, allerdings existieren auch Alternativen. Trotzdem ist es eine gute erste Wahl.»
«Ich weiß nicht, Joyce.»
«Hast du es schon mal genommen?»
«Nein.»
«Kennst du jemanden, der es genommen hat?»
«Na, wer denn nicht?»
Joyce seufzte. «Wir müssen es irgendwie schaffen, die schwarze Wolke über deinem Kopf zu vertreiben. Ich glaube nicht, dass Gesprächstherapie allein dir helfen wird. Das versuchen wir nun schon seit einer ganzen Weile, und jetzt müssen wir einen anderen Weg gehen. Depressionen sind oft heilbar.»
Oft . Sie war sich in meinem Fall also nicht einmal sicher. Es war das erste Mal, dass sie mir so unmissverständlich zu Medikamenten riet. Sie war meine Ärztin, und ich spürte, dass es ihr wirklich darum ging, mir zu helfen. Eine Frage musste ich ihr allerdings doch stellen.
«Seit wann ist Trauer eine Krankheit?»
«Ist sie nicht, jedenfalls nicht in dem Sinne wie genetisch bedingte Depressionen. Aber wenn Trauer nicht mit der Zeit vergeht, wenn sie es einem Menschen unmöglich macht, Freude am Leben zu haben, und er seinen Alltag nicht mehr bewältigen kann, muss man sich ernsthafte Gedanken machen.»
«Meinen Alltag kann ich bewältigen.»
Sie beugte sich vor und schaute mir in die Augen. «Du bist selbstmordgefährdet, Karin.»
Das brachte mich zum Schweigen.
«Versprich mir etwas.»
«Okay.»
«Hol die Medikamente ab, nimm die Tabletten genau nach Vorschrift. Komm am Mittwoch und Freitag wieder her. Wir werden uns für eine Weile dreimal die Woche sehen und dann schauen, wie es geht. Ehrlich gesagt hätten wir damit schon vor drei Monaten anfangen müssen. Vertrau mir bitte.»
Und damit war die Sache entschieden, die Therapiestunde um. Joyce hatte das Ruder in die Hand genommen, was mein Leben anging, und ich fügte mich. Mit einem Rezept für Prozac in meiner Handtasche verließ ich ihre Praxis. Eines musste ich ihr lassen: Sie verstand ihren Beruf oder erweckte zumindest den Anschein. Wenn man sich hilflos fühlte, ging nichts über jemanden, der einem genau zeigte, wo es langging.
Mac wartete an der Ecke Cornelia und Bleecker Street auf mich, in der Nähe eines italienischen Cafés. An den Tischen davor saßen ein paar Leute mit Kaffee und Zeitung beim Frühstück. Es war gerade einmal kurz nach zehn Uhr morgens.
Als er mich sah, kam er mir entgegen. Sobald er in Hörweite war, fragte er: «Ist alles in Ordnung?»
Es gab wohl kaum etwas Komischeres, als von einem Kollegen (einem ehemaligen Kollegen) vom Psychiater abgeholt zu werden. Hätte ich nun höflich «Ja, alles okay» geantwortet, wäre das gelogen gewesen. Wenn ich aber sagte «Nein, überhaupt nicht», würde er sich große Sorgen machen. Stattdessen sagte ich das Erste, was mir in den Sinn kam.
«Vollständig geheilt.» Ich grinste.
Er lachte, und die Anspannung zwischen uns verflog.
«Hast du noch Zeit für einen Kaffee?», fragte ich ihn.
«Das wäre schön, aber ich muss zurück nach Jersey.» Richtig, er hatte ja einen Beruf.
Wir fuhren mit der Linie F zurück nach Brooklyn, wo Mac seinen Wagen abgestellt hatte. Bevor er mich verließ, bestand er allerdings noch darauf, mit mir zur Apotheke zu gehen, damit ich meine Tabletten abholte. Ich hatte ihm auf dem Rückweg davon erzählt. Schlimmer Fehler. Eigentlich hatte ich mir noch überlegen wollen, ob ich die Glückspille der Nation nun wirklich auch nahm. Jetzt blieb mir keine andere Wahl.
Mac wartete zwanzig Minuten mit mir in der Apotheke, und dann noch, bis ich gleich dort die erste Tablette ohne Wasser heruntergeschluckt hatte.
«Bitte schön», sagte ich und leckte mir die
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