Der Domino-Killer
Fahrrad aus dem Keller und fuhr zur Brooklyn Central Library an der Grand Army Plaza in Park Slope. Die zehn Minuten, die ich bis dorthin brauchte, hätten sich verdoppelt oder verdreifacht, wenn ich ein Taxi gerufen und dann noch lange darauf gewartet hätte. Als ich das hohe Gebäude vor mir aufragen sah, hatte ich mich in Schweiß geradelt. Die Bibliothek lag zwischen zwei Hauptstraßen, die im verrücktesten Kreisverkehr endeten, den ich je gesehen hatte. Trotzdem hatte ich keine Angst, dafür war ich zu entschlossen, schnell in die Bücherei zu gelangen, in ihren zweiten Stock, wo mich die Informationen aus dem Online-Katalog hinführten.
Ich stellte das Fahrrad in einem dafür vorgesehenen Ständer vor dem Haupteingang ab. Ich schloss es nicht an, weil ich weder eine Kette noch ein Schloss besaß. Ich hatte auch keinen Fahrradhelm getragen, weil ich keinen besaß. Jackson und ich waren früher gelegentlich durch unsere ruhigen Vorstadtstraßen geradelt, wo es ziemlich ungefährlich zuging. Die verschlafenen Straßen in Maplewood waren das absolute Gegenteil von New York mit seinen Staus und Wagentüren, die plötzlich aufgingen und auf den Radweg ragten – sofern es überhaupt Radwege gab –, und mit seinen Autofahrern, die einen beim Abbiegen gern übersahen. Aber das war mir alles egal; ich brachte es einfach nicht über mich, einen Fahrradladen zu betreten. Wann immer ich an Fahrradhelme dachte, erinnerte mich das an den buntgeblümten Helm in Pink und Orange, den ich Cece gekauft, aber vor ihrem Tod noch nicht ausgepackt hatte.
Ich lief die breiten Stufen zum Vordereingang der Bibliothek hinauf. Zog eine der schweren Türen auf. Rannte hinein. Entdeckte die Rolltreppen rechts und kürzte die Fahrt nach oben ab, indem ich immer zwei Stufen auf einmal nahm.
Mein Herz raste. Aber mein Kopf war klar. Klarer, als er es lange Zeit gewesen war.
Ich betrat den großen Raum und schaute mich um. Rechter Hand, gleich hinter einem Info-Tresen, saßen Leute still an Tischen und lasen. Zur Linken standen zahlreiche Reihen von Bücherregalen. Während ich an ihnen vorüberging, überflog ich die Signaturlisten auf ihren Seitenwänden. Der Bereich, nach dem ich Ausschau hielt, befand sich neun Gänge weiter. Ich trat zwischen die Regale und fing an, nach den ersten drei Nummern zu suchen: drei, sechs, vier. Falls ich auf der richtigen Spur war, hatte JPP die Nummern genau in der Reihenfolge angegeben, in der man sie lesen sollte. Keine Zahlendreher. Nicht bloß Segmente der kompletten Reihe. Er hatte uns einen klaren und deutlichen Hinweis hinterlassen. Andernfalls hätte er auch einfach gleich zurückkommen und mich umbringen können; einen Weg hätte er schon gefunden. Aber darum ging es ihm nicht. Ich sollte sein Spiel mitspielen.
Schnell, aber konzentriert bewegte ich mich durch den Gang zwischen den Regalen und las die Signaturen von den Buchrücken ab. Ein Schweißtropfen rann mir ins Auge, sodass ich einen Moment lang alles verschwommen sah. Ich wischte ihn fort. Und erkannte die sieben Zahlen, nach denen ich gesucht hatte: 3 641 523.
Ich zog das Buch heraus und las den Titel, den ich schon aus dem Onlinekatalog kannte. Es allerdings direkt vor mir zu haben und in Händen zu halten, ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Die Psyche des BTK-Killers von John Douglas, einem berühmten Profiler, der früher als Chef der Abteilung für Verhaltensforschung beim FBI gearbeitet hatte, und Co-Autor Johnny Dodd. Das Cover war blutrot, der Titel in riesigen Großbuchstaben gedruckt, neben denen ein grobkörniges Bild der Augen von BTK zu sehen war. BTK – Dennis Rader. Der Familienmensch, der bei den Pfadfindern und in der Kirche engagiert war, hatte seine kleine Heimatstadt in Kansas dreißig Jahre lang mit unglaublicher Brutalität terrorisiert.
War das Buch selbst schon die Botschaft? Wollte JPP uns auf diese Weise mitteilen, dass er vorhatte, in BTKs Fußstapfen zu treten? In dem Fall war sein Hinweis nicht sonderlich eindeutig.
Ich klappte das Buch auf, und gleich unter dem Deckel klemmte ein weißes Stück Papier, das dreimal gefaltet war. Sofort wusste ich, dass ich am Ziel war. Während ich das Papier aufklappte, überlegte ich, wie lange es wohl schon in dem Buch lag. Der Stempel auf dem hinteren Buchdeckel verriet mir, dass der Band seit zwei Monaten nicht mehr ausgeliehen worden war.
Es war eine Fotokopie. Keine Wörter, nur ein Bild.
Zwei Dominosteine, in zweidimensionalem
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