Der Domino-Killer
Plötzlich ganz erschöpft, suchte ich mir willkürlich eins davon aus und setzte mich auf den nächsten freien Stuhl.
Das Stück trug den Titel Vampire Cowboys. Zwei Männer, die angezogen waren, na ja, wie Vampir-Cowboys eben, saßen auf Stühlen, die Barhocker sein sollten, vor einer hohen Bank, die den Tresen in einem alten Westernsaloon darstellte. Hinter der Bar hing ein breites Poster, wohl als Spiegel gedacht, in dem man die Reflexion der beiden Cowboys sah, aber anscheinend in ihrer eigentlichen Vampirgestalt. Ich begriff das alles nicht richtig. Mein Gehirn schaltete sich langsam ab. Meine Augenlider wurden schwer, und ich fühlte, wie sie sich immer wieder senkten. Die unablässige laute Musik in der Halle schien leiser zu werden. Und dann packte mich plötzlich jemand bei den Schultern und zog mich hoch.
«Du bist fast vom Stuhl gefallen», sagte er.
Ich öffnete die Augen. Direkt vor mir das grässliche Gesicht eines Grünen Kobolds – moosfarbene Haut, lange gelbe Zähne, Glupschaugen –, und ich wurde auf einen Schlag wach. Diese Stimme . Und der starke Körpergeruch. Nach totem Fisch. Nach Tod . Mir drehte sich der Magen um, der Brechreiz stieg mir in den Hals. Ich schluckte ihn hinunter. Stand auf und zwang den Mann damit, zwei Schritte zurückzutreten. Er war kleiner als ich. Ohne jede Angst. Trug sein schuppiges grünes Kostüm, als wäre es auf perverse Art nur für ihn gemacht.
Einem Impuls folgend, streckte ich die Hand aus, um ihn zu berühren – um ihm den Schrecken zu nehmen, wenn ich feststellte, dass seine Haut wirklich nur aus Gummi bestand.
Er sprang zurück.
Und dann verschwand er in die Haupthalle – so unerwartet, wie er hier bei den Bühnen aufgetaucht war, um einen anderen Superhelden davor zu bewahren, dass er vom Stuhl fiel. Einen Rivalen, genau genommen, denn wie mir jetzt wieder einfiel, war der Grüne Kobold Spidermans ewiger Widersacher.
Ich rannte ihm hinterher. Starrte auf seinen Rücken, damit ich ihn nicht verlor. Damit ich ihn nicht verwechselte, wenn ein anderer Grüner Kobold seinen Weg kreuzte – damit ich nicht am Ende dachte, ich hätte ihn gar nicht gefunden. Nicht gehört. Nicht gerochen.
Wäre das nicht JPP gewesen, hätte der Mann nicht Reißaus genommen. Kein Zweifel: Er wäre nicht abgehauen.
«Hilfe!», schrie ich. «Halten Sie den Mann auf!»
Scheinbar hörte niemand meinen Appell bei dem Lärm, der in der Halle herrschte. Oder vielleicht dachten die Leute auch, wir würden ein Stück spielen, wären eine Truppe, die den Variant Stages entflohen war und hier den epischen Kampf zwischen Gut und Böse aufführte.
Er wurde langsamer, nur ein wenig. Hielt lange genug an, um sich umzudrehen und nachzusehen, ob ich hinter ihm her war. Er hatte mich rufen hören. Er erkannte meine Stimme. Er wusste, dass ich es war. Ich konnte förmlich fühlen, wie sein krankes Gehirn überlegte, ob er noch einmal versuchen sollte, mich zu erledigen.
Falls er das noch immer wollte, hatte er jetzt die Gelegenheit dazu.
Dann wandte er sich um und rannte noch schneller durch die Menschenmassen. Fort von mir.
Auch ich rannte schneller, hinter ihm her.
«Halten Sie ihn auf!»
Wieder rührte sich niemand.
Wir rannten. Vorbei an Tischen. Ständen. Und den Schlange stehenden Fans davor. Rannten. Zum dröhnenden Beat der Musik, die die ganze Halle erfüllte. Schneller als der Beat. Rannten. Zweimal so schnell. Dreimal. Flogen schon fast. Leute hielten an und schauten uns zu. Applaudierten. Wir rannten durch den letzten ausgewiesenen Teil der Convention, unter dem letzten Banner hindurch, in einen langen, verlassen daliegenden Flur. Als JPP hinter einer Kurve verschwand, erklangen Jubel und Beifall hinter uns. Als ob die Jagd vorbei wäre. Als ob er mir entkommen wäre. Gewonnen hätte.
Ich rannte und rannte. Nahm ebenfalls die Kurve. Folgte ihm eine lange Rampe hinunter, die in einen dunkleren, schmutzigeren, verdreckteren Teil des Centers führte. Zum Ladebereich – mit seinen breiten Schlünden, die sich zur 35. Straße hin öffneten. Die Musik drang nicht mehr bis hierher, stattdessen konnte man jetzt ein Konzert verschiedener Straßengeräusche hören: Autos, Hupen, Stimmen.
Ungefähr 200 Meter weiter war durch eine offenstehende Ladetür ein Stück Straße zu erkennen.
Ich rannte. Schneller. Mit hämmerndem Herzen. Den Blick fest auf ihn gerichtet, als er hinten in einen leeren Lastwagen sprang, der vor der Rampe stand.
Ich rannte. Wurde durch das Gefälle
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