Der Domino-Killer
der Hand. Als er mich sah, wich die Verwirrung in seinem Blick der Erleichterung, aber er sagte nichts.
Meine Mutter nahm mich mit in die Küche, wo ein halb leeres Tablett mit den Resten des Buffets auf der Anrichte stand. Es hatte wohl niemand für nötig befunden, Teller oder Besteck zu benutzen. Sie reichte mir eine Serviette. «Iss etwas.»
Ich hatte keinen Hunger, aber weil mir die Energie fehlte, um lange mit ihr zu diskutieren, nahm ich mir ein halbes Sandwich. Dann gab sie mir ein Glas eisgekühltes Wasser, und erst als ich es trank, bemerkte ich, dass ich schrecklichen Durst hatte. Bevor ich auch nur ein Wort sagte, trank ich noch ein ganzes Glas.
«Nichts?», fragte ich, obwohl ich wusste, dass ich andernfalls inzwischen davon erfahren hätte.
«Diese ganzen Kameras», sagte sie und schüttelte den Kopf.
«Wie geht es Jon und Andrea?»
Sie seufzte und schaute mich fest, aber mit einem warmen liebevollen Blick an. «Sie haben Angst. Sie rechnen mit dem Schlimmsten … aber daran glaube ich nicht . Ich kann sie noch immer fühlen. Ich spüre einfach nicht, dass sie nicht mehr da ist.»
Der Optimismus meiner Mutter war ansteckend, und für einen Moment schöpfte ich Hoffnung. Doch Jons aschfahles Gesicht machte sämtlichen Optimismus sofort wieder zunichte, als er hereinkam. Seine offensichtliche Aufgewühltheit brachte uns zum Schweigen. Wir standen da und beobachteten, wie er auf und ab ging und so schwer atmete, dass es klang, als würde er ersticken. Als er plötzlich stehen blieb und mich ansah, überspülten mich wieder Schuldgefühle.
«Wie konnte das nur geschehen?», fragte er. «Wie viel Zeit hattet ihr doch gleich für den Fall? Zwei Jahre? Und dabei ist euch nie aufgefallen, dass er vielleicht kein Einzeltäter ist?»
Mein Kopf schien zu vibrieren, ich wollte mich dagegen wehren, dass wir nicht alles in unserer Macht Stehende unternommen hätten. Was jetzt geschehen war, hatte einfach niemand bei der Polizei voraussehen können. Martin Price war verhaftet. Saß hinter Gittern. Eigentlich hätte damit alles erledigt sein müssen.
«Ich …» Mir fehlten die Worte. «Ich …»
«Du kannst doch Karin nicht die Schuld geben», sagte meine Mutter sanft und strich Jon über den Arm, den er sofort wütend wegzog. «Ausgerechnet ihr.»
Jon betrachtete sie böse aus geröteten blauen Augen, in denen gleichzeitig so viel Wut und Traurigkeit lagen. Und dann sah er mich an. «Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Das hätte nie passieren dürfen. Es hätte nicht passieren müssen . Sie war gerade einmal drei Jahre alt.»
«Sag doch nicht war .» Ich begann zu weinen und er ebenfalls. «Sag das nicht, so weit ist es noch nicht.»
Meine Mutter stellte sich zwischen uns und streichelte mit der rechten Hand mir den Rücken und mit der linken Jon. «Also ich glaube –», setzte sie gerade an, da lief Jon aus der Küche. «Na ja.» Sie klang resigniert. «Was ich glaube oder nicht, ist wohl wirklich gerade egal.»
Da hatte sie recht. Es machte keinen Unterschied, was irgendjemand von uns dachte oder vermutete. Im Augenblick zählten nur Fakten, und die lagen wie folgt: Eine Frau war ermordet worden, Susanna verschwunden, und zwei neue Dominosteine waren aufgetaucht – deren Bedeutung eine weitere Unbekannte darstellte.
Es war schon Mitternacht, und ich hatte nichts mehr von Mac gehört, seit er mit Alan am Nachmittag losgefahren war. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, ihn in Ruhe zu lassen, weil es bei der SOKO jetzt natürlich drunter und drüber ging. Aber das hielt ich trotz meiner guten Vorsätze nicht durch. Schließlich rief ich Mac doch an, und es gab zu meiner Überraschung tatsächlich Neuigkeiten.
«Man hat den Van des Clowns entdeckt. Ich bin gerade dorthin unterwegs.»
«Und Susanna?»
«Nein, nur den Van. Wie hält sich deine Familie?»
«Jedes Mal, wenn Andrea mich sieht, bricht sie in Tränen aus. Ich erinnere sie daran, wie böse die Sache ausgehen kann. Meine Anwesenheit hier ist nicht unbedingt förderlich.»
Kurzes Schweigen, Hupen und Verkehrsgeräusche, offenbar befand Mac sich noch nicht auf der Autobahn. «Ich könnte vorbeikommen und dich abholen.»
Sieben Minuten später hielt er vor Jons Haus, und ich lief durch eine hungrige Meute von Reportern zu seinem Wagen. Mac fuhr schon fast an, bevor ich noch die Beifahrertür geschlossen hatte.
«Wo steckt Alan?»
«Bei der SOKO. Sie versuchen, die Zahlen zu entschlüsseln, aber bisher haben sie den
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