Der Domino-Killer
Paul Mahers Besuch im Revier noch nicht dazu geführt, dass man herausgefunden hatte, wer die Frau genau war … aber hatten sich dabei vielleicht andere neue Erkenntnisse ergeben? Macs Entschluss, mir eine ‹kleine Pause› zu gönnen, fühlte sich gerade eher wie eine Strafe an. Ich versuchte es wieder bei ihm, hinterließ eine weitere Nachricht … und dann fiel mir ein, dass ich mein eigenes Handy am Abend zuvor ausgeschaltet hatte, um es aufzuladen. Ich stellte es an und sah gleich darauf, dass ich ganz früh am Morgen eine Nachricht von ihm bekommen hatte.
«Ich will deine Eltern nicht wecken. Deshalb rufe ich dich auf dem Handy an. Hier geht es drunter und drüber … du weißt ja, wie das ist, Karin. Maher hat niemanden wiedererkannt, also werden wir heute Morgen ein Phantombild an die Medien rausgeben. Nur ein Porträt. Okay, wir sprechen uns dann später. Halt die Ohren steif.»
All mein Zorn verflog. Ja, ich wusste genau, wie das war. Aber Mac hatte sein Handy immer dabei und bisher noch nie einen Anruf von mir ignoriert. Mich beunruhigte das; ich durfte ihn nicht verlieren, schon gar nicht jetzt.
Ich wählte seine Nummer, sprach noch einmal auf die Mailbox und ließ mein Handy in die Hosentasche gleiten, auf Vibration eingestellt, damit ich fühlte, wenn es klingelte. Dann setzte ich meine Eltern ins Auto und fuhr mit ihnen zu Jon. Ich wollte wieder suchen helfen. Glaubte ich wirklich, dass wir Susanna irgendwo in der Nähe finden würden, obwohl der Van in Wayne geparkt gewesen war? Nur falls sie noch lebte. Es schien logisch, dass sie andernfalls in der Nähe des Einkaufscenters gefunden werden würde … deshalb wollte ich da auch auf keinen Fall hin.
Eine halbe Meile entfernt sahen wir die ersten Leute mit einer Kopie von Susannas Foto in der Hand eindringlich nach ihr rufen. Sie waren gut vorbereitet hergekommen, trugen Hüte mit breiten Rändern, ihre Haut glänzte von Sonnencreme und viele hatten Wasserflaschen dabei, weil sie wohl damit rechneten, lange unterwegs zu sein. Als wir vor dem Haus hielten, sahen wir überall auf dem Rasen verteilt Kühlboxen stehen, wie Salzlecksteine in den Primärfarben. An ihrem dritten Tag hatte die Suche etwas von ihrer anfänglichen Verzweiflung verloren. Die Atmosphäre erinnerte eher an die Routine eines gewöhnlichen Arbeitstag, zu dem die Leute sich hier einfanden.
Meine Mutter brachte meinen Vater ins Haus zu Andrea und kam dann zu mir ins Zelt. Sie begrüßte die Frau mit dem pinkfarbenen Mützenschirm und ging dann zu den anderen beiden hinter den Tisch. Sofort begann sie, großmütterlich von Susanna zu erzählen, und versorgte die Suchenden mit Informationen, damit sie unser kleines Mädchen erkennen konnten. Die liebevollen Geschichten über die Enkelin halfen ihr wohl, sich der Kleinen nahe zu fühlen und die Hoffnung nicht aufzugeben. So versuchte sie mit der Ungewissheit über Susannas Schicksal fertigzuwerden. Die Frauen im Zelt schienen nicht genau zu wissen, wie sie angesichts meiner tragischen Geschichte mit mir umgehen sollten, und behandelten mich deshalb entweder wie einen Star oder mieden mich wie die Pest. Ich musste da weg. Und so nahm ich mir trotz meiner Schnittwunde im Fuß eine fotokopierte Karte der Umgebung, auf der eine Suchroute blau markiert war, und machte mich allein auf den Weg.
Er führte mich ins Waldstück hinter Jons Haus, danach zu einem Tennisplatz und schließlich zu einem Fußballfeld. Von dort aus folgte ich der Bahnstrecke eine Viertelmeile weit bis zum schmalen Ende des Waterlands Parks. Zwischendurch blieb ich oft stehen und inspizierte meine Umgebung genau. Viele andere der freiwilligen Helfer hatten sich ebenfalls für die blaumarkierte Route entschieden, und so schaute ich mich hier nicht allein um. Dennoch quälte mich das vage Gefühl, wir würden allesamt ein wichtiges Detail übersehen. Die Stimmen der Fremden, die den Namen meiner Nichte riefen, gingen ineinander über wie Vogelgesang. Überall entlang des Weges hingen Steckbriefe von Susanna an den Bäumen.
Am Rand des Parks fand gerade ein Spiel der Baseball-Jugendmannschaft statt, ein Augenblick der Normalität, der mir Kraft gab. Ich ging zurück in den Wald und rief immer und immer wieder: «Susie Q!»
«Karin!»
Ich drehte mich um und stand vor Jon: ohne Karte und Wasser, dafür blass wie ein Gespenst und mit Augenringen so schwarz wie ein ausgebrannter Vulkan.
«Du siehst furchtbar aus», platzte es aus mir heraus.
Jon sank in meine
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