Der Domino-Killer
Ermittlungen einsteigen konnten. Man konnte fühlen, dass die Stimmung sich verbessert hatte. Jetzt gab es Spuren, die die Polizei vielleicht wirklich zu Susanna führen konnten.
«Warum überrascht mich das nicht?», sagte Mac.
Ich beugte mich vor. Starrte das Gesicht auf dem Bild an. Sogar auf einer Aufnahme aus der Verbrecherkartei wirkte er erschreckend unschuldig. Aber er war nicht unschuldig; das war mir klar. Das hier war JPP. Und ich betrachtete gerade ein Polizeifoto von ihm, das ihm eine Verhaftung in Kindertagen eingetragen hatte.
«Vor siebzehn Jahren», sagte Alan, «als er zwölf Jahre alt war, hat er seine Eltern abgeschlachtet.»
Ich starrte Alan an: seine stoppeligen unrasierten Wangen, das kurze dunkle Haar, die schwarzen Ringe unter seinen Augen. «Was meinst du mit abgeschlachtet ?»
«Er hat die beiden mit insgesamt achtundvierzig Messerstichen getötet. Papa hat fünfunddreißig abbekommen, Mama nur dreizehn, aber dafür auch mitten ins Herz.»
« Nur .» Ich stellte mir diese Frau vor, die ich nicht kannte, konnte sie mir nicht richtig ausmalen, bekam aber dennoch sofort eine Verbindung zu ihr. Wir waren beide Mütter und wussten, wie es war, ein Kind bedingungslos zu lieben. Wahrscheinlich hatte sie ihrem Sohn seine Grausamkeit sogar in dem Moment verziehen, als er sie umbrachte.
«Dann hat er das Haus angesteckt und ist geflohen», sagte Alan.
«Und die Familie hat wo genau gewohnt?», fragte Mac.
«Glen Ridge. Aus den Akten der Sozialbehörde geht hervor, dass Neil zu Hause geschlagen wurde. Und von wem? Seinem lieben Herrn Papa. Dennoch wurde er nie aus der Familie rausgeholt. Eines Tages muss er dann wohl durchgedreht sein, vermute ich mal.»
«Also schlachtet er seine Familie ab und steckt das Haus an», sagte Mac. «Und hat er sich danach von Schuldgefühlen geplagt selbst gestellt?»
Natürlich wussten wir alle drei, dass es so nicht gewesen war. JPP besaß kein Gewissen, und er stellte sich auch nicht wegen seiner Verbrechen.
«Man hat ihn in Hackettstown geschnappt. Da hat er in einer zufällig offenen Garage geschlafen. Um überhaupt so weit zu kommen, ist er meilenweit zu Fuß marschiert. In seiner Akte stand, dass er darauf mächtig stolz war.»
«Ja, so kennen wir ihn», sagte Mac.
«Und hört euch das an: In der siebten Klasse war er vorübergehend suspendiert worden, weil er einen Lehrer beschimpft hatte, der ihn zwang, einen miserablen Aufsatz nochmal neu zu schreiben.»
«Ja und?», fragte Mac.
«Das war Mr. Alderman. Also Gary Alderman. Opfer Nummer eins.»
Ich sah die Bilder vor mir, die letzten Momente der Aldermans. Dass kindliches Schmollen in einen solchen Hass umgeschlagen sein konnte … Aber Psychopathen waren dafür bekannt, auch noch so kleine Kränkungen als Rechtfertigung für ihre Verbrechen zu benutzen. Die Domino-Morde hatten eigentlich nichts mit dem Aufsatz eines Siebtklässlers zu tun.
Alan scrollte nach unten, bis auf dem Bildschirm eine eingescannte, undeutliche Fotokopie zu sehen war. «Neil fing an sich als Martin Price auszugeben, nachdem er aus der Jugendhaft entlassen worden war, im Alter von achtzehn Jahren. Das stimmt mit Mahers Geschichte überein. Seht ihr?» Seine Fingerspitze zeigte auf die obere Bildschirmhälfte, die Unterschrift auf den Gefängnispapieren. «Da hat er noch mit Neil Tanner unterschrieben. Und …» Er klickte die Fotokopie weg und öffnete ein anderes Fenster, noch ein Scan eines alten Dokuments. «… hier haben wir einen Beleg dafür, dass ein Martin Price mit achtzehn Jahren seine Entlassungsbescheinigung aus dem Waisenhaus unterschrieben hat. Der Junge ist nie bei Pflegeeltern gewesen; hat Jahre in einem der letzten Waisenhäuser hier in der Gegend verbracht, bevor sie alle geschlossen wurden. Es gibt eben kaum jemanden, der ältere Kinder adoptiert.»
Ich musste an Paul Maher denken, dem man ein Dach über dem Kopf, zu essen und einen neuen Namen gegeben hatte – nur keine Liebe. Wenn er die bekommen hätte, ob nun von seinen Eltern oder jemandem im Waisenhaus, hätte er sich der Menschheit vielleicht verbunden gefühlt und Verantwortung für seinen Nächsten übernommen … der Polizei vielleicht eher gesagt, was er wusste. Vielleicht. Wenn nur, ja, wenn … Ich spürte, wie Mac mich ansah, und schaute zu ihm hinüber. Er schüttelte nahezu unmerklich den Kopf, und ich verstand, was er meinte: nicht darüber nachdenken . Immer wieder riss er mich aus diesen Gedanken heraus. Einerseits war ich
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