Der Domino-Killer
böse, weil er so viel Disziplin von mir verlangte, was meine Gefühle anging, andererseits auch dankbar.
«Okay», sagte Mac, «also verschwand Neil Tanner im Alter von achtzehn Jahren von der Bildfläche, während Martin Price sich gleichzeitig von einem Junkie in einen Serienkiller verwandelte. Und Paul Maher wurde in einem neuen Körper wiedergeboren.»
«Ganz genau. Danach existiert von behördlicher Seite nichts mehr über Neil Tanner, bis auf eine Ausnahme.» Alan öffnete ein neues Fenster, scrollte fünf, sechs Seiten hinunter und landete dann mit dem Cursor auf einer Unterschrift. «Seht ihr das? Nancy Maxtor .»
Ich beugte mich vor und kniff die Augen zusammen, um die verschwommene Unterschrift besser erkennen zu können. Nancy hatte ein Datum danebengeschrieben und ihre Adresse in Montclair angegeben. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich las, dass sie in der Harvard Street wohnte. «Das ist ganz in der Nähe meiner Eltern.»
«Das haben wir auch bemerkt», sagte Alan. «Zwei von unseren Jungs waren gerade bei ihr, aber da ist niemand. Die Nachbarn haben nichts Verdächtiges bemerkt. Offenbar hat die Tochter in letzter Zeit da gewohnt. Wir fahren jedenfalls wieder hin.»
«Was für ein Dokument ist das?» Mac deutete mit dem Kinn in Richtung Computer.
«Tanners Entlassungsurkunde. Vor elf Jahren erhielt Nancy Maxtor die Erlaubnis der Bewährungs- und Wiedereingliederungs-Behörde für jugendliche Straftäter, Tanner bei sich aufzunehmen. Er sollte bei ihr wohnen, nachdem er in Bordentown entlassen wurde.»
Das Jugendstrafgefängnis in Bordentown war auf männliche Jugendliche spezialisiert, und nur die schwersten Fälle kamen dorthin; die meisten der Insassen waren um die achtzehn. Mit zwölf musste Neil Tanner zwischen all den harten Jungs wie ein kleines Kind gewirkt haben. Wie man hörte, war Bordentown die beste Schule für eine dauerhaft kriminelle Karriere.
Alan erzählte weiter: «Während der gesamten sechs Jahre, die Neil in Bordentown saß, nahm Nancy jede Woche eine einstündige Autofahrt dorthin in Kauf, um den Jungen der Strafanstalt Mathe-Unterricht zu geben. Offenbar hat sie da ein paar Freundschaften mit den Beamten geschlossen, denn normalerweise kann man nicht so ohne weiteres einen der ehemaligen Gefangenen zu sich nach Hause nehmen.»
«Aber warum ?» Ich begriff einfach nicht, wie jemand sich mit einem Menschen im Haus sicher fühlen konnte, der offensichtlich ein Psychopath war.
Alan zuckte die Schultern. «Sie hat ihn schon vor den Morden unterrichtet. Sie kannte ihn. Glaubte bestimmt, dass er einen guten Kern hat, bla bla bla. Vielleicht dachte sie auch, er wäre gar nicht der Mörder seiner Eltern. Das passiert andauernd: selbsternannte Heilige, die sich berufen fühlen, die Unschuld der angeblich zu Unrecht Verurteilten zu beweisen. Sie weiß natürlich, wie schwierig es für ihn wird, sich mit so einem berüchtigten Namen ein neues Leben aufzubauen. Also besorgt sie ihm einen anderen – damit er eine weiße Weste hat.»
«Und was ist mit dem echten Paul Maher?», fragte Mac. «Dem falschen zufolge war der zum Zeitpunkt des Namenstausches schon tot. Ist doch irgendwie komisch, dass niemand sich da nochmal erkundigt hat.»
«Das habe ich überprüft. Er ist 1990 ohne Angehörige oder Freunde in Iowa verstorben und zwar mit neunundneunzig Jahren in einem Altersheim. War ungelernter Landarbeiter, völlig verarmt, hat sogar nicht ein Mal im Leben eine Kreditkarte besessen. Ein unbeschriebenes Blatt. Perfekt für eine gefälschte Identität.»
«Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, dass Nancy außer seiner noch andere Identitäten gestohlen hat?»
«Bisher nicht, aber das untersuche ich noch. Ganz offensichtlich wusste sie, wie man das macht. Da fragt man sich, ob sie vielleicht ein Profi ist … die Sache sozusagen von der Pike auf gelernt hat.»
«Das passt in meinen Augen nicht», sagte Mac. «Ihr Profil gibt das nicht her. Klar, sie ist der Typ, der auch noch den schlimmsten Abschaum bei sich aufnehmen würde. Aber Identitätsdiebstahl? Mord? Kindesentführung? Nein, das kann ich mir bei ihr nicht vorstellen.»
«Hör mal, falls sie wirklich die Komplizin von JPP ist, ist sie genauso krank wie er. Da musst du mit allem rechnen, Mac.»
Alan klickte das Fenster auf dem Bildschirm weg und öffnete ein neues. «Hier haben wir sie noch einmal vor neun Jahren. Eine Lobeshymne auf sie, weil sie bei einem Wasserprojekt der UNICEF mitgearbeitet hat. Eine echte
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