Der Domino-Killer
Samariterin, genau wie ihre Tochter gesagt hat. Aber sieh sie dir an, also ich meine, sieh wirklich mal richtig hin. Größe, Figur, Alter … sie könnte als Lizzie Stoppard durchgehen.»
Sobald er uns darauf aufmerksam gemacht hatte, erkannte ich es auch: Nancy war mittelgroß, kräftig – genau wie der Clown. Hatte ihre Tochter gelogen? War Nancy wirklich außer Landes gewesen an Susannas Geburtstag? Das würde auch Christa zur Komplizin machen. Doch das waren alles nur Vermutungen.
«Okay», sagte Mac. «Du hast recht. Vergessen wir einmal, wozu sie möglicherweise fähig sein mag oder nicht. Auch wenn es reine Spekulation ist, nehmen wir mal an, sie ist kein Profi – wie soll sie denn an die zehntausend Dollar gekommen sein, um Neil damit eine neue Identität zu beschaffen? Zehntausend sind eine Menge Geld.»
«Ganz genau. Das habe ich mich auch gefragt, als du im Bett lagst.»
Alan schaute uns nicht an, während er das sagte, und ich überlegte, ob er vielleicht etwas ahnte, was Mac und mich anging. Wäre das ein Problem? Mac wies mich ja immer wieder gern darauf hin, dass ich keine Polizistin mehr war, und als Normalbürgerin und Single konnte ich lieben, wen ich wollte. Ein neuer, seltsamer Gedanke.
«Seht euch das an.» Alan öffnete eine PDF-Datei mit einem vierzehn Jahre alten Steuerbescheid für Nancy Maxtor, aber er scrollte zu schnell nach unten, als dass wir Einzelheiten hätten erkennen können. «Das Ding habe ich so oft gelesen, bis mir schon schwindelig wurde. Gut, das Wichtigste kurz zusammengefasst: Nancys Großmutter stirbt und vermacht ihr alles. Oma ist nicht nur einfache Kirchgängerin, sondern eine Evangelikale. Und bei Nancy ist sie sicher, dass die ihr Geld nicht einfach verpulvern wird wie der Rest der gottlosen Bagage. Den anderen Familienmitgliedern hat sie jeweils zwanzigtausend hinterlassen. Und Nancy? Die hat fast zwei Millionen bekommen. Nächste Frage: Woher hatte Oma denn so viel Geld? Antwort: Während sie brav die Kirchenbank drückte, hat Opa Autos verkauft und dabei ein sehr erfolgreiches Unternehmen aufgebaut. Ist als reicher Mann gestorben, und seine Witwe hat alles geerbt. Und als die gestorben ist, hat sie ihre eigenen Kinder mehr oder weniger übergangen und stattdessen fast alles an ihr Lieblingsenkelkind weitergereicht. Nämlich an Nancy, die als Einzige aus der ganzen Bande Omas Ansichten teilte.»
«Den Familienkrieg kann ich mir lebhaft ausmalen.» Mac hob seinen Becher an die Lippen und atmete den Kaffeedampf ein, bevor er trank.
«Darauf kannst du wetten. Inklusive Rechtsstreit und so weiter. Nancy hat vor Gericht gewonnen. Das Testament war wasserdicht.»
«Also hatte sie richtig Geld», sagte Mac.
«Und das hat sie beisammengehalten. Keine schicken Klamotten, kein teures Haus. Hat es für mildtätige Werke ausgegeben.»
«Euch ist doch wohl klar, dass die Erbschaft die Theorie vom professionellen Identitätsklau zunichtemacht, oder?», fragte ich. «Sie musste kein Geld verdienen.»
Alan zog ironisch eine Augenbraue hoch und erinnerte mich damit an eine alte Polizisten-Weisheit: Den meisten Kriminellen gibt schon das Verbrechen an sich einen Kick, alle anderen sind die Ausnahme von der Regel.
«Mir ist egal, wie Nancy Maxtor an ihr Geld gekommen ist», sagte er. «Aber wie sie es dann ausgegeben hat, ist ja noch dämlicher als bei irgendwelchen alten Damen, die alles ihrem Hund vermachen. Einem Killer eine neue Identität zu verschaffen? Was zum Teufel hat sie sich dabei gedacht, wenn sie an den Verbrechen nicht in irgendeiner Form beteiligt war?» Er lehnte sich zurück und gähnte.
«Geh nach Hause», sagte Mac.
«Machst du Witze?»
«Du hast dir jetzt auch mal ein paar Stunden Schlaf verdient. Vertrau mir, das wirkt Wunder.» Macs Blick streifte mich nicht einmal flüchtig bei dieser Bemerkung; ich wusste, dass er keine Sekunde lang geschlafen hatte.
«Erst will ich nochmal rüber in die Harvard Street.» Alan schaute zur Wanduhr. Es war vier Uhr morgens.
«Wenn Christa zu Hause ist und bisher nicht aufgemacht hat», sagte Mac, «wird sie das jetzt auch nicht tun. Höchstwahrscheinlich schläft sie mit Ohropax und bekommt nichts mit. Die Sache muss bis morgen früh warten, und du siehst aus, als könntest du dich nicht mehr lange aufrecht halten.»
«Mir geht’s gut.» Alan hatte rote Augen, war blass und konnte keine fünf Minuten lang aufhören zu gähnen.
«Ich fahre um sieben rüber zu ihrem Haus», sagte Mac. «Grüß Sandy von
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