Der Dominoeffekt
Handyruftons war ungleich elektrisierender.
Marohn schoss aus dem Bett und grabschte nach seiner Hose, um das Handy vom Gürtel zu reißen. Nur zwei Leute besaßen die Nummer für diesen Apparat und um diese Uhrzeit konnte ein Anruf nur eine mittelschwere Katastrophe bedeuten.
Endlich hielt er das schlanke Gerät in der Hand, das Display leuchtete auf. Als Marohn den Rufknopf drückte, zitterten seine Hände leicht.
»Ja?«, krächzte er.
»Ich bin’s.«
Marohn wurde blass. Kamarov.
»Was ist los?«
»Ist schief gegangen. Alles. Wir sitzen in der Scheiße.«
»Erzähl schon!«
»Am Telefon?«
»Ja, verdammt! Wir entsorgen die Geräte nachher, woll.«
»Gut. Es hat einen Toten gegeben.«
Der Dicke war inzwischen in seiner Küche gelandet. Beim letzten Satz stützte er sich entsetzt auf der ehemals weißen, nun schmierigen Arbeitsplatte ab.
»Was?«, blökte er. »Warum?«
»Einer der Jungs hat die Nerven verloren. Wir waren fast fertig, als ein Mann vom Wachdienst auftauchte.«
»Aber wie konnte das passieren? Du hast doch alles gecheckt!«
Kamarov wurde ungeduldig. »Ja, das habe ich. Keine Ahnung, normalerweise hätte die Tour längst durch sein müssen. Jedenfalls stand der Typ plötzlich direkt vor dem Laster.«
Marohn spürte, wie seine Knie langsam nachgaben. Ächzend ließ er sich auf einem der Küchenstühle nieder. »Und dann?«
»Der Kleine ist ausgeflippt. Eigentlich hätte er längst in dem anderen Wagen sitzen müssen, aber irgendwie hockte er plötzlich in dem Laster. Und als er den Wachmann gesehen hat, hat er Gas gegeben.«
»Nein«, hauchte Marohn.
»Jedenfalls ist der Wachmann tot.«
»Warte ‘nen Moment«, bat Marohn. Seine Augen flitzten suchend über den kleinen Resopaltisch. Ja, da lag noch eine Schachtel Zigaretten.
Als die Glut in der düsteren Küche aufleuchtete, nahm Marohn das Handy wieder ans Ohr. »Seid ihr noch alle weggekommen?«
»Ja, aber es war knapp. Die Bullen rückten schon an.«
»Wo seid ihr jetzt?«
»Immer noch in Bochum. Den Kleinen hat es erwischt.«
»Erwischt? Wieso erwischt?«
»Hat den Laster in ein Kaufhaus gesetzt und dabei einiges abgekriegt. Er blutet wie Sau. Eigentlich müsste er dringend zu einem Arzt.«
»Scheiße«, fluchte Marohn. »Warum seid ihr nicht zum Wohnwagen gefahren?«
»Wir hatten Angst vor Straßensperren, wir wären aufgefallen. Wir haben ein ganz gutes Versteck, mach dir keine Sorgen. Aber was sollen wir jetzt machen?«
Marohn ließ das Handy wieder sinken und dachte angestrengt nach. Er hatte seinen Lebensunterhalt nie durch etwas anderes verdient als durch Diebstähle, Einbrüche, Zuhälterei oder Betrug. Aber ein Toter? Das war selbst für ihn zu viel.
Nervös nahm er einen tiefen Zug von seiner Kippe. Was er jetzt sagen musste, würde ihm bestimmt noch in ein paar Monaten Magenschmerzen bereiten.
»Habt ihr noch einen sauberen Wagen?«
»Nein.«
»Besorgt euch einen, woll. Und dann fahrt so schnell es geht zum Wohnwagen.«
»Du spinnst. Wir haben die Beute dabei. Und was mache ich mit dem Jungen?«
»Deponier das Zeug irgendwo, in ‘nem Schließfach am Bahnhof oder so. Wenn das Zeug weg ist, ist es eben weg. Und dann kümmerst du dich um den Kleinen, woll.«
»Und wie?«
Marohn holte tief Luft. »Sorg dafür, dass er uns keine Probleme mehr machen kann.«
Am anderen Ende der Verbindung waren zunächst nur Atemzüge zu hören. »Okay«, meinte Kamarov dann leidenschaftslos. »Wir brauchen aber Ersatz. Kümmerst du dich darum?«
»Ja«, meinte Marohn. »Ich ruf dich an.«
»Bis dann.«
Marohn kappte die Verbindung. Dann starrte er ungläubig auf das Handy, so als könne er nicht begreifen, was er gerade gehört hatte. Und vor allem, dass er eben die Anweisung gegeben hatte, einen Menschen zu töten.
Draußen tobte das Gewitter. Schwerfällig wuchtete der Dicke seinen Körper vom Stuhl, trat an den Kühlschrank und nahm sich eine Flasche Mineralwasser heraus.
Irgendwann musste ja mal etwas schief gehen, sie hatten schon viel zu lange Glück gehabt. Aber dass das gleich so furchtbar aus dem Ruder lief…
Marohn seufzte zum wiederholten Male und zündete sich eine weitere Zigarette an. Dann griff er wieder zum Handy und tippte eine zwölfstellige Nummer ein.
»Ich bin’s«, meinte er kurze Zeit später. »Wir haben ein Problem…«
9
Die Bildqualität war unglaublich gut. Vollmert verzog den Mund zu einem zufriedenen Grinsen und setzte die Übertragung der Daten von der Kamera zum PC
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