Der Dominoeffekt
wir jetzt?«
»Ich glaube, es wäre das Beste, wir rufen die Polizei.«
23
»Achtzehn.«
»Hab ich.«
»Zwanzig.«
»Klar.«
»Zwo.«
»Mein Spiel.«
»Und die Null.«
»Mach dir ‘nen Schönen.«
Ulli Zander beäugte misstrauisch seine Karten. Trotzdem wagte er es, den Mund aufzumachen. »Vier hab ich noch.«
»Ich auch.«
Statt eine weitere Kampfansage abzulassen, begnügte sich der Sozialarbeiter damit, Michael Karst den Stock zuzuschieben. Der kleine Gewerkschaftssekretär, der mit seinem flusigen Vollbart und der beginnenden Glatze bei gleichzeitig ab den Ohren lang wachsenden Haaren wie eine Miniaturausgabe von Rübezahl aussah, nahm die beiden zusätzlichen Karten auf, verzog schmerzlich das Gesicht, sortierte zwei andere Karten aus und legte sie vor sich auf den Plastiktisch.
»Kreuz«, informierte er seine Mitspieler.
Zander traute seinen Augen nicht. Er hatte drei Kreuzkarten auf der Hand, dazu den Hochbauern und noch den Herzjungen. Karo war er völlig blank.
»Kontra«, blökte Ulli und kniff seinem Mitspieler Thilo Preuss vergnügt ein Auge zu.
»Aua, der wird böse«, meinte Karst ahnungsvoll und zog einen kleinen Trumpf. Preuss bediente, Ulli übernahm und spielte seine lange Farbe vor.
Der Alleinspieler hatte keine Chance. Nachdem Ulli auch noch das Karo Ass gestochen hatte, wechselte Karst die Gesichtsfarbe. Mit sechsundvierzig Augen am Ende des Spiels war klar, wie böse er es vergeigt hatte.
»So ein Mist, ich hab den Pik Bauern gefunden, eigentlich wollte ich ‘nen Karo gegen zwei spielen«, beschwerte er sich, als er seine wenigen Karten nach dem Zählen auf den Tisch warf.
»Unverhofft kommt oft«, grinste Preuss schadenfroh und zückte den Kuli. »Also, dann wollen wir mal. Gegen einen spielt zwei, mal Kreuz sind vierundzwanzig, verloren achtundvierzig, Kontra sechsundneunzig. Drei Bock, drei Ramsch.«
Karst spähte, während er die Karten ordentlich durchmischte, auf den Block, auf dem der Spielstand notiert war. Er lag nach dieser Niete mit hundertfünfzig Miesen im Rückstand.
Preuss nahm die Karten erst auf, als alle ausgeteilt waren, warf einen flüchtigen Blick auf sein Blatt, nickte zufrieden und lehnte sich zurück. Zander kannte seinen Kumpel zu gut, um nicht abschätzen zu können, was als Nächstes kam. Entweder ein ganz dickes Farbenspiel, wahrscheinlicher aber ein Grand oder sogar Grand Hand.
Ulli wollte gerade achtzehn ansagen, als es klingelte.
»Kann Katharina nicht aufmachen?«, fragte Karst, als Ulli Anstalten machte, die Terrasse zu verlassen.
»Die ist mit Arne im Kinderzimmer und lässt sich mit Fingerfarben anmalen«, grinste Ulli. »Bin sofort wieder da.«
Als er die Diele erreicht und den Türöffner betätigt hatte, erahnte er schon wegen des Gepolters, mit dem unten jemand in den Hausflur stürmte, dass es eine mittlere Katastrophe gegeben haben musste. Mit der Person, die die Treppe hochgelaufen kam, hatte er allerdings nicht gerechnet.
»Hallo, Veronika. Was ist denn mit dir los?«
Die Brünette sah reichlich derangiert aus, über dem bunten Sommerkleid thronte ein hochroter Kopf.
»Ist Katharina da?«
»Aber sicher. Komm rein. Sie ist mit Arne im Kinderzimmer.«
Die Frau nickte heftig und trat in die Diele. Ulli bemerkte, dass ihre Hände leicht zitterten, als sie ihre Tasche an die Garderobe hängte.
»Ist etwas passiert?«, fragte Ulli überflüssigerweise.
Veronika stolperte an ihm vorbei, ohne eine Antwort zu geben. Vor Arnes Kinderzimmertür angekommen, klopfte sie einmal gegen das Holz und drückte im nächsten Augenblick schon die Klinke herunter.
»Was machst du denn hier?«, fragte Katharina überrascht, als ihre Freundin im Türrahmen erschien. Ihr Filius hatte sie in ein wandelndes Kunstwerk verwandelt. An ihrem Körper und an der Kleidung gab es kaum einen nicht bemalten Fleck mehr.
»Ich muss mit dir sprechen«, flüsterte Veronika. »Bitte, es ist dringend.«
Katharina zögerte keine Sekunde und stand von dem mit einer Plastikplane abgedeckten Spielteppich auf. Arne hatte seine kreative Phase scheinbar ausgelebt, denn er hatte nichts dagegen, dass seine mobile Leinwand ihn ins Wohnzimmer schob und seinen Erzeuger mit dem Zeigefinger heranwinkte.
»So, was ist denn los?«, fragte die Blonde, als sich die beiden Frauen schließlich allein im Dachgeschoss befanden.
»Claudia hat mich rausgeschmissen«, sagte Veronika so leise, dass Katharina sie kaum verstehen konnte.
»Was? Wann?«
»Gestern, als ich
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