Der Dominoeffekt
erklärte Wielert verdattert. »Was gibt es denn?«
»Meinen legendären Marmorkuchen«, trompetete de Vries fröhlich. »Ich finde, den haben Sie sich redlich verdient.«
Fassungslos tauschten die drei Kripobeamten schnelle Blicke. Die Situation kam ihnen wie eine Szene aus einem schlecht gemachten Science-Fiction-Film vor.
»Haben Sie den etwa selbst gebacken?«, fragte Hofmann.
»Selbstverständlich. Leider komme ich viel zu selten dazu, aber aus gegebenem Anlass habe ich mich gestern mal wieder daran versucht.«
»Tja, dann werde ich am besten frischen Kaffee kochen. Berthold, organisierst du wohl noch eine Sitzgelegenheit?«
»Klar«, antwortete der Stoppelhaarige und verschwand im angrenzenden Büro. Kurz darauf kehrte er, einen Drehstuhl vor sich herschiebend, zurück.
»Ich hatte gerade ein sehr interessantes Telefonat mit dem ziemlich bestürzt klingenden Abteilungsleiter für organisierte und allgemeine Kriminalität in Wiesbaden«, schmunzelte de Vries, während sie sich setzte. »Beim BKA scheint man sich nun jeden vorhandenen Wasserkopf zu zerbrechen, wie man den Skandal unter den Teppich kehren kann. Aber da spiele ich nicht mit.«
Wielert füllte bedächtig Wasser in seine Kaffeemaschine und startete den Brühvorgang. »Wollen Sie die Geschichte an die große Glocke hängen?«
»Sie etwa nicht? Fresenius hat, nach derzeitigem Erkenntnisstand, seit Jahren ein doppeltes Spiel gespielt. Und einen derartigen Augiasstall muss man konsequent ausmisten. Es ist mir absolut unverständlich, wie das so lange unentdeckt bleiben konnte.«
»Immerhin hatten die Kollegen aus Wiesbaden einen Verdacht.«
»Ja. Seit zwei Jahren. Und nichts ist passiert.«
Katharina ignorierte die Abneigung der Juristin gegen blauen Dunst, der nicht von ihr selbst stammte, und gönnte sich die zweite Zigarette des Tages. »Das ist in der Tat merkwürdig.«
»Gehen wir das Ganze doch mal der Reihe nach durch, einverstanden?«, wurde die Staatsanwältin nun geschäftsmäßig. »So wie es aussieht, haben Fresenius und sein engster Mitarbeiter die Seiten gewechselt.«
»Sie meinen diesen Dehrendorf?«, unterbrach Wielert. »Der damals bei der Drogensache, bei der Vollmert geschasst wurde, ums Leben gekommen ist?«
»So sollte es aussehen. Inzwischen ist Dehrendorf tatsächlich tot… seit gestern Mittag.«
»Was?«, fragten die drei Polizisten gleichzeitig.
»Der Kerl, dem Fresenius in den Kopf geschossen hat, das war Dehrendorf. Brettschneider rief mich noch gestern Abend an, nachdem er die Obduktion beendet hatte. Ihm ist sofort aufgefallen, dass der Mann zu Lebzeiten im Kopfbereich mehrere plastische Operationen über sich hat ergehen lassen. Und daraufhin habe ich mir natürlich sofort die Unterlagen von damals nochmal angesehen.«
»So schnell?«
»Ich hatte noch Kopien zu Hause. Ungeklärte Fälle sind für mich nie erledigt. Fresenius hatte damals alles beigebracht, damit Dehrendorf identifiziert werden konnte. Die Leiche war derart entstellt, dass lediglich zahnmedizinische Unterlagen und Röntgenbilder aussagekräftig waren. Allerdings waren die gefälscht, wie sich jetzt herausstellte.«
»Und wer wurde dann anstelle von Dehrendorf getötet?«
»Vermutlich werden wir das wohl nie erfahren. Irgendein armer Teufel, der zur falschen Zeit am falschen Ort war.«
»Und Vollmert wurde kaltgestellt«, führte Wielert die Überlegungen fort. »Vielleicht war er näher an der Wahrheit, als er es selbst gewusst hat, und hätte Fresenius auffliegen lassen können.«
»Das ist eine Möglichkeit. Fresenius hat ja damals Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um Vollmert hinter schwedische Gardinen zu bringen. Wie wir heute wissen, ein genial inszeniertes Ablenkungsmanöver. Denn dadurch, dass Vollmert am Leben gelassen wurde, wurde die Aufmerksamkeit der Ermittler darauf gelenkt, Vollmert seine Schuld nachzuweisen. Und wäre er tatsächlich angeklagt und inhaftiert worden, hätte man nur bei den richtigen Leuten platzieren müssen, dass er Polizist gewesen war – lange hätte Vollmert das nicht überlebt.«
»Nur haben Sie Fresenius damals die Tour vermasselt«, nickte Katharina.
»Es scheint so«, gab die Juristin bescheiden zurück.
»Während sich also alle auf Vollmert stürzten, konnte die Bande sich neu aufstellen«, fuhr Katharina fort. »Dehrendorf nahm eine neue Identität an und baute die Aktivitäten aus. Fresenius schöpfte Informationen im Amt ab und kümmerte sich um das Organisatorische, er verfügte ja
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