Der Dorfpfarrer (German Edition)
verlangten, ist schnell und voller Ergebenheit erledigt worden. Zuerst wird Ihr Schützling alle seine bürgerlichen Rechte wieder eingeräumt bekommen, dann wird Ihnen Cathérine Curieux in drei Monaten geschickt werden.«
»Wo ist sie?« fragte Véronique.
»Im Saint-Louis-Hospital,« antwortete der Greis. »Man wartet ihre Genesung ab, um sie aus Paris fortzuschicken.«
»Ach, das arme Kind ist krank!«
»Hier werden Sie alle wünschenswerten Aufschlüsse erhalten,« sagte Grossetête, Véronique das Paket überreichend.
Sie kehrte zu ihren Gästen zurück, um sie in das prachtvolle Speisezimmer des Erdgeschosses zu führen, wohin sie von Grossetête und Gérard geleitet, denen sie den Arm gab, ging. Sie überwachte selber das Mittagsmahl, ohne daran teilzunehmen. Seit ihrer Ankunft in Montégnac hatte sie es sich zum Gesetz gemacht, ihre Mahlzeiten allein einzunehmen, und Aline, die das Geheimnis dieses Vorbehalts kannte, bewahrte es heilig bis zu dem Tage, wo ihre Herrin in Todesgefahr schwebte.
Der Bürgermeister, der Friedensrichter und der Arzt von Montégnac waren natürlich eingeladen worden.
Der Arzt, ein siebenundzwanzigjähriger junger Mann namens Roubaud, wünschte lebhaft Limousins berühmte Frau kennenzulernen. Der Pfarrer war um so glücklicher, den jungen Mann im Schlosse einführen zu können, als er eine Art Geselligkeit bei Véronique einzuführen wünschte, um sie zu zerstreuen und um ihrem Geiste Nahrung zu geben. Roubaud war einer jener durchaus unterrichteten jungen Mediziner, wie sie aus der Pariser medizinischen Fakultät jetzt hervorgehen, der sicherlich auf dem großen Theater der Hauptstadt hätte glänzen können; da er aber erschreckt war über das Spiel der Ehrsüchte in Paris, und sich überdies mehr für die Wissenschaft als für Ränke, mehr für Befähigung als für Begierde begabt hielt, hatte sein sanftes Gemüt ihn auf das enge Provinztheater geführt, wo er schneller als in Paris geschätzt zu werden hoffte. In Limoges stieß Roubaud sich an den eingefleischten Gewohnheiten und der allzu großen Treue der Patienten. Er ließ sich daher von Monsieur Bonnet gewinnen, der seiner sanften und zuvorkommenden Physiognomie nach einen von denen in ihm sah, die zu ihm halten und ihm bei seinem Werke helfen mußten. Klein und blond wie er war, hatte Roubaud ein ziemlich fades Aussehen, seine grauen Augen aber verrieten die Tiefe des Physiologen und die Zähigkeit studierter Leute. Montégnac besaß nur einen alten Regimentschirurgen, der sehr viel mehr mit seinem Keller als mit seinen Patienten beschäftigt und überdies zu alt war, um den rauhen Beruf eines Landarztes fortsetzen zu können. In diesem Augenblick starb er langsam ab. Roubaud wohnte seit achtzehn Monaten in Montégnac und war dort schon sehr beliebt. Doch der junge Schüler Despleins und der Nachfolger Cabanis' glaubte nicht an den Katholizismus. In Religionsdingen verharrte er in einer tödlichen Gleichgültigkeit und wollte sie nicht aufgeben. Auch entmutigte er den Pfarrer; nicht weil er irgendwelches Unheil stiftete, er sprach ja nie über Religion; seine Beschäftigungen rechtfertigten seine ständige Abwesenheit in der Kirche, und überdies benahm er sich, da er der Proselytenmacherei unfähig war, wie sich der beste Katholik aufgeführt haben würde; hatte es sich aber versagt an ein Problem zu denken, das er als außerhalb der menschlichen Reichweite liegend ansah. Als der Pfarrer den Arzt sagen hörte, daß der Pantheismus die Religion aller großen Geister sei, hielt er ihn für einen Anhänger der Pythagoräischen Dogmen über die Seelenwanderung. Roubaud, der Madame Graslin zum ersten Male sah, überkam eine lebhafte Empfindung bei ihrem Anblick; die Wissenschaft ließ ihn in der Physiognomie, in der Haltung und in den Verwüstungen ihres Gesichtes unerhörte, sowohl physische wie moralische Leiden, einen Charakter von einer übermenschlichen Kraft und die großen Fähigkeiten entdecken, welche in den Stand setzen, die entgegengesetztesten Wechselfälle zu ertragen; alles las er darin, selbst die dunklen und absichtlich verborgenen Dinge. Auch sah er das Leiden, welches das Herz dieses schönen Geschöpfes verzehrte, denn, wie die Färbung einer Frucht den Aufenthalt eines nagenden Wurmes in ihr vermuten läßt, ebenso erlauben gewisse Farben in dem Gesichte den Aerzten einen giftigen Gedanken zu erkennen. Von Stund an nahm Roubaud so innig teil an Madame Graslin, daß er in Sorge war, sie über die
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