Der Dorfpfarrer (German Edition)
beurteilen, ob das vom Pfarrer von Montégnac geplante Unternehmen, dem Madame Graslin wohlmeinend gegenübersteht, ausführbar ist. Mündlich werde ich Ihnen die Vorteile mitteilen, die Sie finden dürften, falls diese große Wandlungen möglich sein sollten. Rechnen Sie immer auf die Freundschaft Ihres ganz ergebenen
Grossetête. «
Madame Graslin antwortete Grossetête nichts weiter als die wenigen Worte: »Danke, lieber Freund, ich erwarte Ihren Schützling.«
Des Ingenieurs Brief zeigte sie Monsieur Bonnet, indem sie zu ihm sagte:
»Noch ein Verwundeter, der das große Hospital sucht.«
Der Pfarrer las den Brief, las ihn wieder, ging zwei- oder dreimal schweigend die Terrasse auf und ab und gab ihn dann Madame Graslin mit den Worten zurück:
»Das kommt von einer schönen Seele und von einem höheren Menschen! Er sagt, daß die vom revolutionären Geist erfundenen Schulen Unfähige züchten, ich, ich nenne sie Zuchtstätten des Unglaubens, denn, wenn Monsieur Gérard kein Atheist ist, ist er Protestant ... «
»Wir wollen ihn fragen,« sagte sie, betroffen über solche Antwort.
Vierzehn Tage später, im Dezembermonde, kam Monsieur Grossetête trotz der Kälte nach Schloß Montégnac, um seinen Schützling dort vorzustellen, den Véronique und Monsieur Bonnet ungeduldig erwarteten.
»Man muß Sie sehr lieb haben, liebes Kind,« sagte der Greis, als er Véroniques beide Hände in seine nahm und sie mit jener Galanterie alter Herren küßte, die Frauen nie beleidigt, »ja, Sie sehr lieb haben, um Limoges zu solcher Zeit zu verlassen; aber ich wollte Ihnen selber ein Geschenk mit Monsieur Grégoire Gérard hier machen. – Er ist ein Mann nach Ihrem Herzen, Monsieur Bonnet,« fügte der alte Bankier, den Pfarrer liebenswürdig begrüßend, hinzu.
Gérards Aeußeres war wenig einnehmend. Er besaß eine mittlere Figur, von derben Formen, der Hals steckte, wie man zu sagen pflegt, zwischen den Schultern, er hatte goldgelbe Haare, rote Albinoaugen, und fast weiße Brauen und Wimpern. Obwohl seine Hautfarbe wie die der Leute dieser Art von seltener Weiße war, nahmen ihr Pockennarben und sehr sichtbare Schmarren ihren ursprünglichen Glanz; das Studium hatte zweifelsohne seine Augen verdorben, denn er trug Schonungsbrillen. Als er sich eines großen Reitermantels entledigte, machte die Kleidung, die er zeigte, sein ungünstiges Aeußeres keineswegs wett. Die Weise, wie er seine Kleider angezogen und zugeknöpft hatte, seine vernachlässigte Krawatte und sein nicht ganz tadelloses Hemd zeigten Spuren jenes Mangels an Sorge für sich selbst, den man Männern der Wissenschaften vorwirft, welche alle mehr oder minder zerstreut sind. Wie bei fast allen Denkern kündigten sein Benehmen und seine Haltung, die Entwicklung des Oberkörpers und die Magerkeit der Beine eine Art durch die Gewohnheiten des Nachdenkens erzeugte körperliche Entkräftung an. Die Macht des Herzens und des glühenden Verstandes, dessen Beweise in seinem Briefe zu lesen standen, strahlten auf seiner Stirn, die man wie aus karrarischem Marmor gemeißelt hätte nennen können. Die Natur schien sich diesen Platz aufbewahrt zu haben, um dort die augenscheinlichen Merkmale der Größe, Beständigkeit und Güte dieses Mannes aufzuprägen. Wie bei allen Männern gallischer Rasse, hatte die Nase eine plattgedrückte Form. Sein fester und gerader Mund zeigte völlige Verschwiegenheit und Sinn für Sparsamkeit an; das ganze Gesicht aber, durch das Studium ermüdet, war vorzeitig gealtert. »Wir haben Ihnen bereits zu danken, mein Herr,« sagte Madame Graslin zu dem Ingenieur, »daß Sie so freundlich waren zu kommen, um Arbeiten in einem Lande zu leisten, das Ihnen keine anderen Annehmlichkeiten bieten wird wie die Befriedigung, zu wissen, daß man dort Gutes wirken kann.«
»Madame,« erwiderte er, »Monsieur Grossetête hat mir auf dem Wege hierher schon so viel von Ihnen erzählt, daß ich glücklich wäre, Ihnen nützlich sein zu können, und die Aussicht bei Ihnen und Monsieur Bonnet zu leben mir verlockend erscheint. Wenigstens hoffe ich, wenn man mich nicht aus dem Lande jagt, hier meine Tage zu beschließen.«
»Wir werden uns bemühen, Sie Ihre Ansicht nicht ändern zu lassen,« entgegnete Madame Graslin lächelnd.
»Hier,« sagte Grossetête zu Véronique, sie beiseite nehmend, »sind Papiere, die der Generalprokurator mir eingehändigt hat; er ist sehr erstaunt gewesen, daß Sie sich nicht an ihn selber gewendet haben. Alles, was Sie
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