Der Dorfpfarrer (German Edition)
ergriffen.
»Benjamin,« sagte Madame Graslin, »komm her und umarme deine Mutter.«
»Meine Mutter?« schrie Benjamin überrascht
Er fiel Cathérine um den Hals, die ihn mit wilder Kraft an sich preßte. Doch das Kind machte sich los und rettete sich mit dem Rufe:
»Ich will ›ihn‹ holen!«
Madame Graslin sah sich genötigt, Cathérine, die schwach wurde, niederzusetzen; da erblickte sie Monsieur Bonnet und konnte nicht umhin, rot zu werden, als sie ein durchdringender Blick ihres Beichtigers traf, der in ihrem Herzen las.
»Ich hoffe, Herr Pfarrer,« sagte sie bebend zu ihm, »Sie werden Cathérines und Farrabesches Ehe sofort einsegnen. – Erkennen Sie Monsieur Bonnet nicht wieder, liebes Kind? Er wird Ihnen sagen, daß Farrabesche sich seit seiner Rückkehr als ehrenwerter Mann aufgeführt hat; vom ganzen Lande wird er geschätzt, und wenn es einen Ort auf der Welt gibt, wo Sie glücklich und geachtet leben können, so ist es Montégnac. Mit Gottes Hilfe werden Sie hier Ihr Glück machen, denn Sie sollen meine Pächter sein. Farrabesche ist wieder Bürger geworden.«
»Alles das ist wahr, mein Kind,« sagte der Pfarrer.
In diesem Moment kam Farrabesche, von seinem Sohne gezogen, herbei; er blieb in Cathérines und Madame Graslins Gegenwart bleich und wortlos. Er erriet, wie wirksam die Wohltätigkeit der einen gewesen war und alles, was die andere erlitten haben mußte, um nicht zu ihm gekommen zu sein. Véronique führte den Pfarrer fort, der sie seinerseits fortführen wollte. Sobald sie weit genug entfernt waren, um nicht verstanden zu werden, blickte Monsieur Bonnet sein Beichtkind fest an und sah es rot werden; wie schuldbewußt senkte es die Augen.
»Sie setzen das Gute herab,« sagte er streng zu ihr.
»Wie das?« fragte sie, das Haupt erhebend.
»Gutes tun«, antwortete Monsieur Bonnet, »ist eine Leidenschaft, die der Liebe ebenso überlegen ist, wie die Menschlichkeit der Kreatur überlegen ist. Nun, alles das erfüllt sich nicht mit der Gewalt allein und durch die Naivität der Tugend. Sie sinken von der ganzen Größe der Menschlichkeit auf den Kult einer einzigen Kreatur zurück! Ihre Wohltätigkeit Farrabesche und Cathérine gegenüber läßt Erinnerungen und Hintergedanken zu, die ihr in Gottes Augen das Verdienst nehmen. Reißen Sie sich selber die Ueberbleibsel des Unkrauts aus Ihrem Herzen, das der Geist des Uebels dort eingepflanzt hat. Berauben Sie Ihre Handlungen doch nicht so ihres Wertes! Werden Sie denn endlich zu jener heiligen Unwissenheit des Guten, was Sie tun, welche die höchste Gnade menschlicher Handlungen ist, gelangen?«
Madame Graslin hatte sich zur Seite gewandt, um ihre Augen abzuwischen, deren Tränen dem Pfarrer sagten, daß sein Wort irgendeine blutende Stelle des Herzens angriff, wo sein Finger in einer schlecht geschlossenen Wunde wühlte.
Farrabesche, Cathérine und Benjamin kamen, um ihrer Wohltäterin zu danken; aber sie machte ihnen ein Zeichen, sich zu entfernen und sie mit Monsieur Bonnet allein zu lassen.
»Sehen Sie, welchen Kummer ich ihnen mache!« sagte sie zu ihm, ihn auf die Betrübten hinweisend.
Und der Pfarrer mit seiner zarten Seele machte ihnen ein Zeichen zurückzukommen.
»Seid restlos glücklich,« sagte sie zu ihnen. – »Hier ist das Schriftstück, das Ihnen Ihre Bürgerrechte wiedergibt und Sie von den Förmlichkeiten befreit, die Sie demütigen,« fügte sie hinzu und reichte Farrabesche ein Papier hin, das sie in der Hand hielt.
Ehrfurchtsvoll küßte Farrabesche Véroniques Hand und blickte sie mit einem zugleich zärtlichen und unterwürfigen, ruhigen Auge, mit der Ergebenheit eines seinem Herrn treuen Hundes an, die nichts zu erschüttern vermag.
»Wenn Jacques gelitten hat, Madame,« sagte Cathérine, deren schöne Augen lächelten, »hoffe ich, ihm soviel Glück geben zu können, wie er Strafe erlitten haben mag; denn, was er auch getan hat, schlecht ist er nicht.«
Madame Graslin wendete sich ab, sie schien durch den Anblick dieser nunmehr glücklichen Familie gebrochen; und Monsieur Bonnet verließ sie, um in die Kirche zu gehen, wohin sie sich an Monsieur Grossetêtes Arme schleppte.
Nach dem Frühstück sahen sich alle die Eröffnung der Arbeiten an, wozu auch sämtliche alten Leute Montégnacs herbeikamen. Von der Rampe aus, über welche die Schloßallee hinausging, konnten Monsieur Grossetête und Monsieur Bonnet, zwischen denen Véronique war, die Anlage der vier ersten Wege sehen, die man zog, und die als
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