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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sein, sich erheben zu können, da sie es zu mehreren Malen, doch vergebens versuchte, sich im Park zu ergehen. Einige Tage nach dieser Szene jedoch, zu Anfang des Junimonats, überwand sie sich nach hartem Kampfe, stand auf, zog sich an und schmückte sich wie zu einem Feste. Sie bat Gérard, ihr den Arm zu reichen: denn ihre Freunde kamen jeden Tag, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen; und als Aline erzählte, daß ihre Herrin lustwandeln wollte, eilten alle ins Schloß. Madame Graslin hatte alle ihre Kräfte gesammelt und erschöpfte sie, um diesen Spaziergang zu machen. Sie erfüllte ihren Plan in einem Willensparoxysmus, der eine furchtbare Reaktion nach sich ziehen mußte.
    »Gehen wir nach der Sennhütte, und zwar allein,« sagte sie mit sanfter Stimme zu Gérard und blickte ihn dabei mit einer Art Koketterie an. »Das ist mein letzter mutwilliger Streich, denn ich habe heute nacht geträumt, meine Aerzte kämen.«
    »Wollen Sie Ihre Wälder sehen?« fragte Gérard.
    »Zum letztenmal,« antwortete sie. »Doch habe ich,« fügte sie mit einschmeichelnder Stimme hinzu, »Ihnen seltsame Vorschläge zu machen.«
    Sie zwang Gérard, sich mit ihr auf dem zweiten See einzuschiffen, wohin sie sich zu Fuß begab. Als der Ingenieur, überrascht, sie eine solche Ueberfahrt machen zu sehen, die Ruder bewegte, kündigte sie ihm die Kartause als Reiseziel an.
    »Lieber Freund,« sprach sie zu ihm nach einer langen Pause, während welcher sie den Himmel, das Wasser, die Hügel und Ufer betrachtet hatte, »ich habe das seltsamste Verlangen an Sie zu stellen, glaube aber, daß Sie der Mann sind, der mir gehorcht.«
    »In allem; bin ich doch sicher, daß Sie nur Gutes von mir verlangen können,« rief er.
    »Ich will Sie verheiraten,« sagte sie; »und sie erfüllen das Gelübde einer Sterbenden, die sicher ist, Ihr Glück zu machen.
    »Ich bin zu häßlich,« erwiderte der Ingenieur.
    »Die Person ist hübsch, sie ist jung, will in Montégnac leben; und wenn Sie sie heiraten, werden Sie dazu beitragen, mir meine letzten Augenblicke zu versüßen. Damit zwischen uns nicht die Rede von ihren guten Eigenschaften sei, gebe ich sie für ein Elitewesen aus, und da, hinsichtlich Anmut, Schönheit und Jugend der erste Blick genügt, wollen wir sie in der Kartause sehen. Bei der Rückkehr sollen Sie mir ein ernsthaftes Ja oder Nein sagen.«
    Nach dieser vertraulichen Mitteilung beschleunigte der Ingenieur die Bewegung der Ruder, was Madame Graslin ein Lächeln entlockte. Denise, die für alle Blicke verborgen in der Kartause lebte, erkannte Madame Graslin und machte ihr eilends auf. Véronique und Gérard traten ein. Das arme Mädchen konnte nicht umhin zu erröten, als sie des Ingenieurs Blicken begegnete, der von Denises Schönheit angenehm überrascht wurde.
    »Die Curieux hat es Ihnen an nichts fehlen lassen?« fragte Veronique sie. »Sehen Sie, Madame,« sagte sie, ihr das Frühstück zeigend.
    »Hier ist Monsieur Gérard, von dem ich Ihnen erzählt habe,« fuhr Véronique fort; »er wird meines Sohnes Vormund sein, und nach meinem Tode werden Sie bis zu seiner Mündigkeit zusammen im Schlosse wohnen.«
    »Oh, Madame, sprechen Sie nicht so.«
    »Aber sehen Sie mich doch an, mein Kind!« sagte sie zu Denise, deren Augen sie sofort voll Tränen sah. – »Sie kommt aus Neuyork,« sagte sie zum Ingenieur.
    Damit wollte sie das Paar miteinander bekannt machen. Gérard stellte einige Fragen an Denise, und Véronique ließ sie miteinander plaudern: sie ging und besah sich den letzten Gabousee. Um sechs Uhr kamen Gérard und Véronique im Schiff nach der Sennhütte.
    »Nun?« sagte sie, ihren Freund anblickend.
    »Sie haben mein Wort.«
    »Obwohl Sie vorurteilslos sind,« fuhr sie fort, »müssen Sie doch den grausamen Umstand wissen, der das arme Kind unser Land, in das es aus Heimweh zurückgeführt wurde, verlassen ließ.«
    »Ein Fehltritt?«
    »O nein!« sagte Véronique; »würde ich sie Ihnen dann vorschlagen? Sie ist die Schwester eines Arbeiters, der auf dem Schafott gestorben ist ...«
    »Ach, Tascheron,« sagte er, »Vater Pingrets Mörder! ...«
    »Ja, sie ist eines Mörders Schwester!« wiederholte Madame Graslin mit tiefer Ironie; »Sie können Ihr Wort zurücknehmen.«
    Sie vollendete nicht, Gérard sah sich genötigt, sie nach der Sennhüttenbank zu tragen, wo sie einige Minuten über ohne Bewußtsein blieb. Sie fand Gérard zu ihren Füßen, als sie die Augen aufschlug; er sagte zu ihr:
    »Ich werde Denise

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