Der Dorfpfarrer (German Edition)
und der reizenden Landschaft eine Stimme verlieh.
»Recht tun Sie, mich dieser entzückenden Schöpfung Lebewohl sagen zu lassen,« sagte sie, als sie die Schönheit der Bäume sah, die alle so dicht belaubt waren, daß sie die beiden Ufer verbargen.
Die einzige Mißbilligung, die ihre Freunde sich erlaubten, war ein düsteres Schweigen, und auf einen neuerlichen Blick Monsieur Bonnets hin, sprang Véronique leicht an Land und nahm eine fröhliche Miene an, die sie nicht mehr aufgab. Wieder Schloßherrin geworden, war sie reizend, und die Familie Grossetête erkannte in ihr von neuem die schöne Madame Graslin früherer Tage.
»Sicherlich kannst du noch leben!« flüsterte ihr ihre Mutter ins Ohr.
An diesem schönen Festtage, inmitten der erhabenen, einzig mit Hilfsmitteln der Natur hervorgezauberten Schöpfung, schien Véronique nichts verwunden zu dürfen, und doch empfing sie hier ihren Gnadenstoß. Man wollte um neun Uhr über die Wiesen zurückkehren, deren Wege, die alle ebenso schön wie englische oder italienische Straßen waren, den Stolz des Ingenieurs bildeten. Der Ueberfluß an Kieseln, die bei der Säuberung der Ebene massenweise an den Seiten aufgeschichtet worden waren, erlaubte es, sie so wohl zu unterhalten, daß sie seit fünf Jahren wie makadamisiert waren. Die Wagen standen am Ende des letzten Tales auf der Seite der Ebene, fast am Fuße der Roche-Vive. Die Gespanne, alle aus in Montégnac gezüchteten Pferden bestehend, waren die ersten, die verkauft werden konnten. Der Gestütdirektor hatte ein Dutzend davon für die Schloßställe abrichten lassen, und sie zum ersten Male zu versuchen, bildete einen Teil des Festprogramms. Vor Madame Graslins Kalesche, einem Geschenke Grossetêtes, stampften die vier schönsten, einfach angeschirrten Pferde. Nach dem Mittagessen wollte die frohe Gesellschaft den Kaffee in einem kleinen Holzkiosk, einer Kopie derer vom Bosporus, einnehmen, der an der Inselspitze lag, wo der Blick über den letzten Weiher hinstreifte. Colorats Haus – denn der Wächter war, als er die Unmöglichkeit einsah, ein so schwieriges Amt wie das eines Hauptwächters von Montégnac auszuüben, – Farrabesches Nachfolger geworden – und das alte restaurierte Haus bildete eines der Gebäude in dieser Landschaft, die mit dem großen Gabouwehr abschloß, und die Blicke liebenswürdig an eine reiche und kräftige Vegetationsmasse fesselte.
Von dort aus glaubte Madame Graslin ihren Sohn Francis in der Nähe der von Farrabesche angelegten Baumschule zu sehen. Sie suchte ihn mit dem Blick, fand ihn aber nicht, und Monsieur Ruffin zeigte ihn ihr: tatsächlich spielte der Knabe mit den Kindern von Grossetêtes Enkelinnen längs der Ufer. Véronique fürchtete einen Unfall. Ohne auf jemanden zu hören, stieg sie aus dem Kiosk hinunter, sprang in eines der Boote, ließ sich zum Dammweg übersetzen und suchte eilig ihren Sohn. Dieser kleine Zwischenfall war Anlaß zum Aufbruch. Der ehrwürdige Ururgroßvater Grossetête schlug als erster vor, auf dem schönen Saumpfade zu lustwandeln, der sich längs der beiden letzten Seen hinstreckte, indem er sich den Launen des gebirgigen Bodens anpaßte. Madame Graslin bemerkte Francis von weitem in den Armen einer Dame in Trauer. Nach der Hutform und dem Kleiderschnitte zu urteilen, mußte die Frau eine Ausländerin sein. Erschreckt rief Véronique ihren Sohn, der zurückkam.
»Wer ist die Frau?« fragte sie die Kinder, »und warum ist Francis von euch fortgegangen?«
»Die Dame hat ihn bei seinem Namen gerufen,« sagte ein kleines Mädchen.
In diesem Augenblick kamen die Sauviat und Gérard an, die der ganzen Gesellschaft vorangelaufen waren.
»Wer ist die Frau, liebes Kind?« fragte Madame Graslin Francis.
»Ich kenne sie nicht,« antwortete er, »aber nur du und meine Großmutter umarmen mich so ... Sie hat geweint!« flüsterte er seiner Mutter ins Ohr.
»Wollen Sie, daß ich ihr nachlaufe?« fragte Gérard.
»Nein!« sagte Madame Graslin mit einem rauhen Tone, den man nicht an ihr kannte.
Voller Zartgefühl, das Véronique zu schätzen wußte, führte Gérard die Kinder fort und ging der Gesellschaft entgegen. So blieben denn die Sauviat, Madame Graslin und Francis allein.
»Was hat sie zu dir gesagt?« fragte die Sauviat ihren Enkel.
»Ich weiß es nicht, sie sprach nicht französisch.«
»Hast du nichts verstanden?« forschte Véronique.
»Ach, sie hat mehrere Male, und darum hab ich's behalten können, ›Dear brother!‹
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