Der Dorfpfarrer (German Edition)
Liberalen der Stadt kannten die Motive seines Benehmens nicht, sie stützten sich auf seine Meinungen und nannten ihn einen Patrioten, ein Wort, das in der katholischen Sprache gleichbedeutend mit Revolutionär ist. Er, der von seinen Untergebenen, die sein Verdienst nicht zu verkündigen wagten, geliebt, von seinesgleichen jedoch gefürchtet wurde, war dem Bischof unbequem. Seine Tugenden und sein Wissen, um die er vielleicht beneidet wurde, verhinderten jede Verfolgung. Unmöglich war es, sich über ihn zu beschweren, obwohl er die politischen Ungeschicklichkeiten kritisierte, durch die der Thron und der Klerus sich gegenseitig bloßstellten; auf die sich daraus ergebenden Resultate machte er im voraus aufmerksam, und erfolglos wie die arme Kassandra, die in gleicher Weise vor und nach dem Sturze ihres Vaterlandes geschmäht ward. Außer bei einer Revolution mußte Abbé Dutheil verborgen wie einer jener im Fundament verborgenen Steine bleiben, auf denen alles ruht. Man sah seine Nützlichkeit ein, ließ ihn aber an seinem Platze wie die Mehrzahl der wirklich Geistvollen, deren Zur-Macht-gelangen der Mittelmäßigkeit ein Greuel ist. Wenn er, wie Abbé de Lameneis, zur Feder gegriffen hätte, würde ihn die römische Kurie zweifelsohne wie jenen zu Boden geschmettert haben. Abbé Dutheil wirkte imponierend. Sein Aeußeres kündigte eine jener tiefgründigen Seelen an, die nach außen hin immer gesammelt und ruhig sind. Seine hohe Figur, seine Magerkeit taten der Hauptwirkung seiner Linien keinen Eintrag, die an die erinnerten, welche das Genie spanischer Maler besonders gern angewandt hat, um die großen mönchischen Denker darzustellen, und an die kürzlich von Thorwaldsen für seine Apostel gefundenen. Die fast starren langen Gesichtsfalten, die in Einklang mit denen der Gewandung stehen, besitzen die Anmut, welche das Mittelalter an den an dem Portal ihrer Kirchen angebrachten mystischen Statuen hervorgehoben hat. Die Schwere seiner Gedanken, die des Wortes und Akzentes paßten bei Abbé Dutheil zueinander und schickten sich für ihn. Wenn man seine schwarzen Augen sah, welche durch Kasteiungen tief in ihren Höhlen lagen und von einem braunen Kreise umgeben waren, wenn man seine, wie ein alter Stein gelbe Stirn, seinen Kopf, seine knöchernen Hände sah, wollte niemand eine andere Stimme und andere Maximen hören, wie die aus seinem Munde kamen. Diese rein physische, im Einklänge mit der moralischen stehende Größe verlieh dem Priester etwas Stolzes, Geringschätziges, das von seiner Demut und seinem Wort sofort Lügen gestraft wurde, aber nicht für ihn einnahm. In einem höheren Range hätten diese Vorzüge ihm jenen notwendigen Einfluß auf die Massen, den sie so begabte Leute über sich gewinnen lassen, eingetragen; Vorgesetzte aber verzeihen es ihren Untergebenen niemals, wenn sie die äußerliche Größe besitzen und jene von den Alten so sehr geschätzte Majestät entfalten, welche den Organen der modernen Macht so häufig abgeht.
Einer jener Sonderbarkeiten zufolge, die nur den klügsten Höflingen natürlich erscheinen, verkehrte der andere Generalvikar, der Abbé de Grancour, ein kleiner fetter Mensch mit unsauberem Teint, blauen Augen, dessen Meinungen denen des Abbé Dutheil gerade entgegengesetzt waren, ziemlich gern mit ihm, ohne dabei doch irgend etwas zu bezeugen, was ihm des Bischofs Huld, der er alles geopfert haben würde, verscherzt hätte. Abbé de Grancour glaubte an seines Amtsbruders Verdienst und erkannte auch seine Talente an; heimlich ließ er seine Lehrsätze gelten und verdammte sie vor der Oeffentlichkeit; denn er gehörte zu den Leuten, welche die Ueberlegenheit anzieht und erschreckt, die sie hassen und nichtsdestoweniger pflegen. »Mich verdammend würde er mich umarmen!« sagte Abbé Dutheil von ihm. Abbé de Grancour besaß weder Freunde noch Feinde, er mußte als Generalvikar sterben. Er erklärte sich zu Véronique hingezogen durch das Verlangen, einer so religiösen und wohltätigen Person zu raten, und der Bischof billigte das; im Grunde aber war er entzückt, einige Abende mit Abbé Dutheil zusammen verleben zu können.
Diese beiden Priester besuchten Véronique fortan ziemlich regelmäßig, um ihr eine Art Bericht über die Unglücklichen zu erstatten und um über die Mittel zu beratschlagen, wie man sie moralisch machen könnte, indem man ihnen hülfe. Doch von Jahr zu Jahr schnürte Monsieur Graslin die Riemen seiner Börse enger, als er, trotz der erfinderischen
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