Der Dorfpfarrer (German Edition)
da einen Wildbach im Walde, der ihrer ganz vortreffliche liefert. Aber ich vergesse, daß wir im August sind, und daß der Gabou trocken ist! Ich habe einen recht wirren Kopf ...«
»Es gefällt Ihnen hier sehr gut?« fragte der junge Abbé.
»Ja, mein Herr. Wenn Gott es erlaubt, werde ich als Pfarrer von Montégnac sterben. Ich möchte wünschen, daß mein Beispiel von ausgezeichneten Männern befolgt würde, die besser zu tun glauben, wenn sie Philanthropen werden. Die moderne Philanthropie ist das Unglück der Gesellschaften, die Grundsätze der katholischen Religion allein können die Krankheiten heilen, welche den sozialen Körper quälen. Anstatt die Krankheit zu beschreiben und ihre Verheerungen mit elegischen Klagen anzuhören, sollte jeder Hand ans Werk legen und als einfacher Arbeiter den Weinberg des Herrn betreten. Meine Arbeit hier ist weit davon entfernt, vollbracht zu sein: es genügt mir nicht, die Leute, die ich in einem Zustande gottloser Gefühle vorgefunden habe, zu moralisieren, ich will inmitten einer gänzlich überzeugten Generation sterben.«
»Sie haben nur Ihre Pflicht getan,« sagte wiederum trocken der junge Mann, der Neid an seinem Herzen nagen fühlte.
»Ja, mein Herr,« erwiderte der Priester bescheiden, nachdem er ihm einen feinen Blick zugeworfen hatte, wie wenn er fragen wollte: »Ist das noch eine Prüfung?« – »Zu jeder Stunde wünsche ich,« fügte er hinzu, »daß jeder im Königreiche das Seinige tue.«
Dieser Satz voll tiefer Bedeutung wurde noch durch eine Betonung verstärkt, die bewies, daß im Jahre 1829 dieser Priester, der ebensogroß war durch die Intelligenz wie durch die Demut seines Benehmens, und der seine Gedanken denen seiner Vorgesetzten unterordnete, in dem, was die Schicksale der Monarchie und der Kirche anlangte, klar sah.
Als die beiden verhärmten Frauen angekommen waren, ließ sie der junge Abbé, der sehr ungeduldig war, nach Limoges zurückzukehren, im Pfarrhof und sah nach, ob die Pferde angespannt worden waren. Einige Augenblicke später kam er zurück und zeigte an, daß alles für die Abreise bereit sei. Alle vier fuhren unter den Augen der ganzen Bevölkerung von Montégnac, die in Gruppen auf der Straße und vor der Post stand, ab. Die Mutter und Schwester des Verurteilten wahrten Schweigen. Die beiden Priester sahen Klippen in vielen Gesprächsstoffen und konnten weder gleichgültig erscheinen noch froh werden. Indem sie ein neutrales Gebiet für die Unterhaltung suchten, durchquerten sie die Ebene, deren Anblick auf die Dauer ihres melancholischen Schweigens Einfluß hatte.
»Aus welchen Gründen haben Sie den geistlichen Stand ergriffen,« fragte Abbé Gabriel plötzlich den Pfarrer in einer unbesonnenen Neugierde, die ihn überkam, als der Wagen in den Hauptweg einlenkte.
»Ich habe keinen Stand im Priestertum gesehen,« antwortete der Pfarrer einfach. »Ich begreife nicht, daß man Priester werden kann aus anderen Gründen wie aus den unerklärlichen Mächten der Berufung. Wie ich weiß, sind viele Männer Arbeiter im Weinberg des Herrn geworden, nachdem sie ihr Herz im Dienste der Leidenschaften verbraucht haben; die einen liebten hoffnungslos, andere sind verraten worden; die wiederum haben die Blume ihres Lebens verloren, indem sie sei es eine geliebte Gattin, sei es eine angebetete Geliebte begruben; andere sind vom sozialen Leben zu einer Zeit angewidert worden, wo das Ungewisse über allen Dingen, selbst über dem Gefühl, schwebt, wo der Zweifel mit den süßesten Gewißheiten sein Spiel treibt, indem er sie Glaubenssätze nennt. Viele gaben die Politik zu einer Zeit auf, wo die Macht Sühne zu sein scheint, wenn der Regierte den Gehorsam für ein Verhängnis hält. Viele verlassen eine Gemeinschaft ohne Banner, wo die Gegensätze sich zusammentun, um das Gute zu stürzen. Ich nehme nicht an, daß man sich Gott mit einem selbstsüchtigen Gedanken weiht. Einige Männer können im Priestertum ein Mittel sehen, unser Vaterland zu erneuern; nach meinen schwachen Begriffen jedoch ist der patriotische Priester ein Nonsens. Nur Gott darf der Priester angehören. Ich habe unserem Vater, der jedoch alles annimmt, nicht die Trümmer meines Herzens und die Reste meines Willens anbieten wollen, ich habe mich ihm ganz gegeben. Nach einer der rührendsten Theorien der heidnischen Religionen ging das den falschen Göttern bestimmte Opfer blumengeschmückt zum Tempel. Immer hat mich dieser Brauch gerührt. Ein Opfer ist nichts ohne die Gnade.
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