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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gehörte, empfand ich eine grenzenlose Ruhe; ich fühlte weder Bedürfnisse, noch Eitelkeiten, noch Sorge um Güter, welche die Menschen so sehr beunruhigen. Ich wähnte, die Vorsehung würde sich meiner wie einer ihr gehörigen Sache annehmen. Eine Welt betrat ich, aus der die Furcht verbannt ist, wo die Zukunft gewiß und wo jedes Ding, selbst das Schweigen ein göttliches Werk ist. Diese Ruhe ist eine der Wohltaten der Gnade. Meine Mutter begriff nicht, daß man sich mit einer Kirche vermählen könne; als sie meine heitere Stirn, meine glückliche Miene sah, wurde sie nichtsdestoweniger glücklich. Nachdem ich eingekleidet worden war, besuchte ich in Limousin einen meiner väterlichen Verwandten, der mir zufällig von dem Zustande erzählte, worin sich der Bezirk Montégnac befand. Ein mit dem Glänze der Erleuchtung erstrahlender Gedanke sagte mir im Innern: »Das ist dein Weinberg!« Und ich bin hierher gekommen. So ist meine Geschichte, Herr, wie Sie sehen, recht einfach und uninteressant.«
    In diesem Augenblick tauchte Limoges im Feuer der untergehenden Sonne auf. Bei dem Anblick vermochten die beiden Frauen ihre Tränen nicht zurückzuhalten.
    Der junge Mensch, den diese beiden verschiedenen Zärtlichkeiten suchten, der so viel Veranlassung zu harmloser Neugierde, so viel scheinheiligen Sympathien, und so vielen lebhaften Sorgen war, lag auf einer Gefängnismatratze in dem für zum Tode Verurteilte bestimmten Raume. Ein Spion lauerte an der Tür, um die Worte aufzufangen, die ihm, sei es im Schlafe, sei es in einem Wutanfalle entschlüpfen konnten, so sehr suchte das Gericht alle menschlichen Mittel zu erschöpfen, um Jean-François Tascherons Mitschuldigen schließlich herauszubekommen und die gestohlenen Summen wiederzufinden. Die des Vanneaulx hatten die Polizei für sich gewonnen, und die Polizei bespähte nun dies völlige Schweigen. Wenn der zur moralischen Bewachung des Gefangenen beigesellte Mann diesen durch einen ausdrücklich zu diesem Zwecke hergestellten Spalt betrachtete, fand er ihn immer in der gleichen Haltung in seine Zwangsjacke gesteckt, und, seitdem er versucht hatte, den Stoff und die Banden mit seinen Zähnen zu zerreißen, den Kopf mit einer Lederbandage festgemacht. Jean-François betrachtete mit stieren und verzweifelten Augen, die glühend und durch das Zuströmen eines Lebens, das schreckliche Gedanken aufwühlten, wie gerötet waren, den Fußboden. Er war eine lebende Skulptur des antiken Prometheus, der Gedanke an irgendein verlorenes Glück zerfleischte sein Herz; auch der zweite Vertreter des Generalprokurators, hatte, als er ihn aufsuchte, nicht umhin können, seiner Überraschung, welche ein so beständiger Charakter hervorrief, Ausdruck zu verleihen. Angesichts jedes lebenden Wesens, das in sein Gefängnis drang, geriet Jean-François in eine Wut, welche die den Aerzten bei derartigen Aufregungen bekannten Grenzen weit hinter sich ließ. Sobald er den Schlüssel sich im Schlüsselloch umdrehen oder die Riegel der eisenbeschlagenen Türe kreischen hörte, trat ihm ein leichter Schaum vor die Lippen.
    Der damals fünfundzwanzigjährige Jean-François war klein, aber wohlgebaut. Seine krausen und dicken, ziemlich tief ansetzenden Haare zeugten von großer Energie. Seine Augen von einem hellen und lichten Grün, standen ziemlich nahe an die Nasenwurzel gerückt, ein Schönheitsfehler, der ihm Aehnlichkeit mit einem Raubvogel verlieh. Er hatte ein rundes und braungefärbtes Gesicht, woran man die Bewohner des Mittelpunktes Frankreichs erkennt. Ein Zug in seiner Physiognomie bestätigte eine Behauptung Lavaters über zum Morde prädestinierte Menschen, er besaß gekreuzte Vorderzähne. Nichtsdestoweniger zeigte sein Gesicht die Merkmale der Geradheit und einer stillen sittlichen Naivität: so sah es denn gar nicht ungewöhnlich aus, daß eine Frau ihn leidenschaftlich geliebt hatte. Sein frischer, mit wunderbar weißen Zähnen geschmückter Mund war anmutig. Das Rot der Lippen machte sich durch jene Mennigefärbung bemerkbar, die eine gebändigte Wildheit anzeigt, welche bei vielen Wesen ein freies Feld in den, Gluten des Vergnügens findet. Seine Haltung verriet keine schlechten Arbeitergewohnheiten. In den Augen der Frauen, welche die Gerichtsverhandlungen verfolgten, schien es offenbar, daß eine Frau diese an Arbeit gewöhnten, durch die Haltung dieses Landmanns veredelten und mit seiner persönlichen Anmut begabten Gemütsanlagen nachgiebig gemacht hatte. Frauen erkennen

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