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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Mein Leben ist daher einfach und ohne den kleinsten Roman. Wenn Sie indessen mein volles Bekenntnis wollen, werde ich Ihnen alles sagen. Meine Familie ist mehr als wohlhabend, sie ist beinah reich. Mein Vater, der sich sein Vermögen selber geschaffen hat, ist ein harter, unbeugsamer Mann; er behandelt seine Frau und seine Kinder übrigens genau so wie er sich selber behandelt. Niemals habe ich das geringste Lächeln auf seinen Lippen überrascht. Seine eherne Hand, sein Bronzegesicht, seine düstere und zugleich rauhe Wirksamkeit drückten uns alle, Frau, Kinder, Gehilfen und Dienstboten unter einen wilden Despotismus. Ich würde mich – ich spreche für mich allein, diesem Leben angepaßt haben, wenn diese Gewalt einen sich gleichbleibenden Druck ausgeübt hätte; da er aber launenhaft und unbeständig war, gab es unerträgliche Zweifel. Wir wußten nie, ob wir richtig handelten oder das Gegenteil, und das schreckliche Gespanntsein, das sich daraus ergab, ist im häuslichen Leben nicht auszuhalten. Man will dann noch lieber auf der Straße als bei sich sein. Wenn ich allein im Hause gewesen wäre, würde ich von meinem Vater noch alles, ohne zu murren ertragen haben; doch mein Herz wurde durch die bitteren Schmerzen zerrissen, die einer heißgeliebten Mutter keine Ruhe gaben, deren erspähte Tränen Wutausbrüche in mir erweckten, bei denen ich nicht mehr bei Sinnen war. Die Zeit meines Schulaufenthalts, wo Kinder die Beute so vieler Mühen und Qualen sind, war für mich gleichsam ein goldenes Zeitalter. Ich fürchtete mich vor den freien Tagen. Meine Mutter selber war glücklich, wenn sie zu mir kam. Als ich das Gymnasium hinter mir hatte, als ich ins Vaterhaus zurückkehren und meines Vaters Gehilfe werden sollte, war es mir unmöglich, dort länger als einige Monate zu bleiben: meine durch die Gewalt des Jünglingsalters verwirrte Vernunft konnte unterliegen. Als ich an einem traurigen Herbstabend allein mit meiner Mutter den Boulevard Bourdon, damals einer der tristesten Plätze von Paris, entlang lustwandelte, entlastete ich mein Herz vor dem ihrigen und sagte ihr, daß ich ein für mich mögliches Leben nur in der Kirche sähe. Meine Geschmacksrichtungen, meine Ideen, selbst meine Liebesgefühle müßten, solange mein Vater lebte, auf Widerspruch stoßen. Unter der Priestersoutane würde er gezwungen sein, mich zu respektieren; ich könnte also bei bestimmten Anlässen der Schützer meiner Familie sein. Meine Mutter weinte viel. In diesem Moment hatte sich mein älterer Bruder, der später General geworden und bei Leipzig gefallen ist, durch die Gründe, welche meine Berufung entschieden, aus dem Hause getrieben, zum freiwilligen Dienst als einfacher Soldat gestellt. Ich riet meiner Mutter als Rettungsmittel für sie an, sich einen charaktervollen Schwiegersohn zu wählen, meine Schwester, sobald sie im mannbaren Alter wäre, zu verheiraten, und ihren Halt in der neuen Familie zu suchen. Unter dem Vorwande, der Konskription entgehen zu wollen, ohne daß es meinen Vater etwas koste, und indem ich auch meine Berufung vorbrachte, trat ich also 1807 im Alter von neunzehn Jahren, im Seminar von Saint-Sulpice ein. In diesen alten berühmten Gebäuden fand ich den Frieden und das Glück, das nur die mutmaßlichen Leiden meiner Mutter und meiner Schwester trübten; ihre häuslichen Schmerzen wuchsen zweifelsohne, denn wann sie mich besuchten, bestärkten sie mich in meinem Entschlüsse. Vielleicht durch meine Leiden in die Geheimnisse der Barmherzigkeit eingeweiht, wie sie der große Sankt Paulus in einem anbetungswürdigen Kapitel erörtert hat, wollte ich die Wunden der Armen in einem unbekannten Erdenwinkel verbinden, dann durch mein Beispiel beweisen, wenn Gott meine Mühen zu segnen geruhte, daß die katholische Religion, in ihren menschlichen Werken erfaßt, die einzig wahre, die einzige gute und schöne zivilisatorische Macht sei. Während der letzten Tage meines Diakonats hatte die Gnade mich zweifelsohne erleuchtet. Völlig verziehen hatte ich meinem Vater, in welchem ich das Werkzeug meines Schicksals gesehen habe. Trotz eines langen und zärtlichen Briefes, worin ich diese Dinge erklärte, indem ich zeigte, daß Gottes Finger sich überall abgedrückt habe, weinte meine Mutter viele Tränen, als sie meine Haare unter den Scheermessern der Kirche fallen sah; sie wußte, auf wieviele Freuden ich verzichtete, ohne zu erkennen, welchen heimlichen Ruhm ich erhoffte. Die Frauen sind so zärtlich! Als ich Gott

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