Der Dorfpfarrer (German Edition)
er war mehr als kalt, er war eisig. Ein Mann, der fähig ist, die Moral einer Bevölkerung zu wandeln, muß mit einiger Beobachtungsgabe versehen und mehr oder weniger Physiognomiker sein; hätte der Pfarrer aber nur die Wissenschaft des Guten besessen, so hatte er eine seltene Empfindsamkeit bewiesen; er war daher betroffen über die Kälte, mit welcher der bischöfliche Sekretär sein Entgegenkommen und seine Liebenswürdigkeiten aufnahm. Da er diese Geringschätzung irgendeiner heimlichen Unzufriedenheit zuschreiben mußte, suchte er in sich selber, wie er ihn hatte verletzen können und worin seine Aufführung in den Augen seiner Vorgesetzten tadelnswert war. Es entstand ein momentanes peinliches Schweigen, das der Abbé de Rastignac durch eine Frage voller aristokratischen Dünkels unterbrach:
»Sie haben eine recht ärmliche Kirche, Herr Pfarrer?«
»Sie ist zu klein,« antwortete Monsieur Bonnet. »An hohen Festtagen setzen die alten Leute Bänke in die Vorhalle, die jungen Leute stehen im Kreise auf dem Platze; es herrscht aber ein solches Schweigen, daß alle draußen meine Stimme hören können.«
Gabriel wahrte einige Augenblicke über Schweigen.
»Wenn die Einwohner so fromm sind, warum lassen sie sie in einem derartig kahlen Zustande?« fragte er weiter.
»Ach, Herr, ich habe nicht den Mut, Summen dafür auszugeben, die den Armen helfen können. Die Armen sind die Kirche. Übrigens würde ich mich vor Hochwürdens Besuche an einem Feiertage nicht fürchten! Die Armen geben dann der Kirche zurück, was sie von ihr erhalten haben! Haben Sie nicht die Nägel gesehen, Herr, die in bestimmten Zwischenräumen in den Mauern sind? Sie dienen dazu, eine Art Gitterwerk aus Eisendraht aufzuhängen, woran die Frauen Sträuße stecken. Die Kirche ist da ganz mit Blumen bekleidet, die bis zum Abend frisch sind. Meine arme Kirche, die Sie so nackt finden, ist geschmückt wie eine Braut, ist durchduftet, der Boden ist mit Blätterzweigen bedeckt und in der Mitte läßt man für den Durchgang des heiligen Sakraments einen Weg aus Rosenblättern. An einem solchen Tage würde ich den Pomp des Sankt Peter in Rom nicht fürchten. Der heilige Vater hat sein Gold, ich, ich habe meine Blumen: jeder hat sein Wunder ... Ach, mein Herr, der Flecken Montégnac ist arm, aber er ist katholisch. Früher plünderte man die Reisenden, heute kann jemand, der hier durchkommt, einen Sack mit Talern fallen lassen, er würde ihn zu Hause wieder vorfinden.«
»Ein solches Ergebnis macht Ihnen Ehre,« sagte Gabriel.
»Es handelt sich nicht um mich,« erwiderte der Pfarrer, durch dieses ziselierte Epigramm getroffen, errötend, »sondern um das Wort Gottes, um das heilige Brot.«
»Ein etwas schwärzliches Brot,« erwiderte Abbé Gabriel lächelnd.
»Weißbrot ist nur etwas für die Mägen der Reichen,« erwiderte der Pfarrer bescheiden.
Der junge Abbé ergriff nun Monsieur Bonnets Hände und drückte sie ihm herzlich.
»Verzeihen Sie mir, Herr Pfarrer,« sagte er zu ihm, sich plötzlich mit ihm durch einen Blick seiner schönen blauen Augen versöhnend, der dem Pfarrer bis auf den Grund seiner Seele drang. »Hochwürden hatte mir befohlen, Ihre Geduld und Bescheidenheit zu prüfen; aber ich wüßte nicht, wie ich weitergehen sollte, ich sehe schon, wie sehr Sie durch die Lobsprüche der Liberalen verleumdet worden sind! ...«
Das Frühstück war fertig: frische Eier, Butter, Honig und Früchte, Sahne und Kaffee, von Ursule inmitten von Blumensträußen, auf einem weißen Tafeltuch, auf dem alten Tische, in jenem alten Eßzimmer aufgetragen. Das Fenster, das auf die Terrasse hinausging, stand offen. Klematis, mit reinen weißen Sternen, die im Herzen von dem gelben Strauß ihrer gekreuzten Staubfäden hervorgehoben wurden, umrankte den Rahmen. Ein Jasminstrauß stand auf der einen Seite, auf der anderen kletterte Kapuziner hoch. Oben bildeten die bereits roten Trauben eines Weinspaliers einen reichen Rahmen, wie ihn ein Bildhauer nicht besser hätte schaffen können, während ihm das durch die Auszackungen der Blätter unterbrochene Licht Anmut verlieh.
»Sie finden hier das auf seine einfachste Ausdrucksform zurückgeführte Leben,« sagte lächelnd der Pfarrer, ohne die Miene aufzugeben, welche bei ihm die Traurigkeit, die er auf dem Herzen hatte, ausdrückte. »Wenn wir um Ihr Kommen gewußt hätten – und wer konnte die Motive dafür voraussehen? – würde Ursule sich einige Bachforellen aus den Bergen besorgt haben; es gibt
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