Der Dorfpfarrer (German Edition)
ihm neigte, um ihm ins Ohr zu flüstern. »Wenn Sie sich heute nacht mit Gott aussöhnen, und wenn Ihre Reue mir erlaubt, Sie zu absolvieren, wird es morgen sein. – Wir haben bereits viel erreicht, indem wir Sie beruhigten!« fügte er mit lauter Stimme hinzu.
Als Jean diese letzten Worte hörte, wurden seine Lippen blaß, seine Augen verdrehten sich durch eine heftige Zusammenziehung und ein Sturmschauer glitt über sein Gesicht.
»Wie, bin ich ruhig?« fragte er sich.
Glücklicherweise begegnete er den tränenvollen Augen seiner Denise und bekam wieder Herrschaft über sich selbst.
»Nun wohl, nur Sie kann ich hören,« sagte er zum Pfarrer. »Sie haben genau gewußt, von welcher Seite man mich packen muß!«
Und er legte seinen Kopf an seiner Mutter Brust.
»Höre auf ihn, mein Sohn,« sagte seine weinende Mutter, »er wagt sein Leben, der liebe Monsieur Bonnet, indem er es unternimmt, dich hinzugeleiten ...«
Sie zauderte und vollendete:
»Zum ewigen Leben.«
Dann küßte sie Jeans Kopf und drückte ihn einige Augenblicke lang an ihr Herz.
»Er will mich begleiten?« fragte Jean, den Pfarrer anblickend, der es über sich brachte, mit dem Kopfe zu nicken. »Schön, ich will ihn anhören, will alles tun, was er will.«
»Du versprichst es mir?« sagte Denise, »denn, sieh, deine Seele wollen wir alle retten. Und dann, willst du, daß man in ganz Limoges und auf dem Lande erzählt, ein Tascheron habe es nicht verstanden, einen guten Tod zu finden? Kurz, denke doch, daß du alles, was du hier verlierst, im Himmel wiederfinden kannst, wo sich die Verzeihung erlangenden Seelen wiedersehen.« Diese übermenschliche Anstrengung trocknete dem heldenhaften Mädchen die Kehle aus. Sie tat wie ihre Mutter, sie schwieg, aber sie hatte triumphiert. Der Verbrecher, welcher bislang wütend war, sich sein Glück durch das Gericht entreißen zu sehen, bebte bei dem so naiv von seiner Schwester geäußerten erhabenen katholischen Gedanken. Alle Frauen, selbst eine junge Bäuerin wie Denise wissen solche Feinheiten zu finden; lieben sie es nicht alle, die Liebe zu verewigen? Denise hatte zwei sehr empfindliche Saiten berührt. Der wiedererwachte Stolz rief die anderen, durch so viel Unglück erstarrten und durch die Verzweiflung geschlagenen Tugenden wach. Jean ergriff seiner Schwester Hand, küßte sie und drückte sie auf eine bedeutungstiefe Weise gegen sein Herz: er stützte sie sanft und zugleich voller Kraft.
»Nun«, sagte er, »heißt es auf alles verzichten. Das ist der letzte Schlag und der letzte Gedanke: empfange sie, Denise.«
Und er warf ihr einen jener Blicke zu, durch welche der Mensch bei großen Anlässen seine Seele einer anderen Seele einzuprägen sucht.
Dieses Wort, dieser Gedanke waren ganz und gar ein Testament. Alle diese unausgesprochenen Vermächtnisse, die ebenso treu überliefert wie treu gewünscht sein mußten, verstanden Mutter, Schwester, Jean und der Priester so gut, daß sie sich alle voreinander verbargen, um sich nicht ihre Tränen zu zeigen und um das Geheimnis ihrer Gedanken zu wahren. Diese wenigen Worte waren der Todeskampf einer Leidenschaft, das Lebewohl einer väterlichen Seele an die schönsten irdischen Dinge, indem sie eine katholische Entsagung ausdrückten. Auch der Pfarrer, der von der Majestät aller großen menschlichen, selbst verbrecherischen Dinge besiegt worden war, beurteilte diese Leidenschaft nach dem Umfange des Fehls: er hob die Augen auf, wie um Gottes Gnade anzurufen. Da enthüllten sich wieder die rührenden Tröstungen und die unendlichen Zärtlichkeiten der katholischen Religion so menschlich, so sanft durch die Hand, die bis zu dem Menschen herniedersteigt, um ihm das Gesetz höherer Welten zu erklären, so schrecklich und göttlich durch die Hand, die sie ihm hinhält, um ihn in den Himmel zu geleiten.
Denise aber hatte dem Pfarrer geheimnisvoll die Stelle gewiesen, wo der Fels nachgab, den Riß, durch welchen sich die Gewässer der Reue stürzten. Plötzlich auf die Erinnerungen zurückgeführt, die sie so hervorriefen, stieß Jean den eisigen Schrei der von den Jägern überraschten Hyäne aus.
»Nein, nein,« schrie er, auf die Knie fallend, »ich will leben! Liebe Mutter, nehmt meine Stelle ein, gebt mir eure Kleider, ich will entweichen! Gnade! Gnade! Sucht den König auf, sagt ihm ...«
Er hielt inne, stieß ein furchtbares Gebrüll aus und klammerte sich wild an des Pfarrers Soutane.
»Gehen Sie,« sagte Monsieur Bonnet mit leiser Stimme zu
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