Der Dorfpfarrer (German Edition)
die Sauviat vertuschte, indem sie es ihr sofort abnahm, denn die alte Mutter schien auf die Erregung ihrer Tochter gewartet zu haben. Der Zufall wollte, daß Madame Graslin den Platz sah, wo ehedem ihres Vaters Haus gestanden hatte: lebhaft preßte sie die Hand der Sauviat, dicke Tränen perlten aus ihren Augen und rannen ihre Wangen entlang. Als sie Limoges verlassen hatte, warf sie einen letzten Blick zurück und schien ein Glücksgefühl zu empfinden, das von allen ihren Freunden bemerkt wurde. Als der Generalprokurator, jener fünfundzwanzigjährige junge Mann, den als Gatten zu nehmen sie sich weigerte, ihr mit einem lebhaften Ausdrucke des Bedauerns die Hand küßte, bemerkte der neue Bischof die seltsame Bewegung, durch die das Schwarz des Augapfels in Véroniques Augen das Blau überwucherte, welches dieses Mal so weit verdrängt wurde, daß es nur noch einen leichten Kreis bildete. Das Auge kündigte einen heftigen inneren Umschwung an.
»Ich werde ihn also nicht mehr sehen!« sagte sie ihrer Mutter ins Ohr, die diese vertrauliche Mitteilung, ohne daß ihr altes Gesicht das mindeste Gefühl zeigte, entgegennahm.
Die Sauviat wurde in diesem Augenblicke von Grossetête beobachtet, der vor ihr saß; trotz seiner Schlauheit aber konnte der alte Bankier den Haß, welchen Véronique gegen den Juristen gefaßt hatte, den sie trotzdem bei sich empfangen hatte, nicht erraten. In dieser Beziehung besitzen Kirchenleute einen umfassenderen Scharfblick als andere Männer; daher setzte denn der Bischof Véronique durch einen Priesterblick in Erstaunen.
»Sie werden also an nichts in Limoges mit Bedauern zurückdenken?« sagte Hochwürden zu Madame Graslin.
»Sie verlassen die Stadt,« antwortete sie.
»Und Monsieur wird nur noch selten dorthin zurückkehren,« fügte sie, Grossetête, der ihr Lebewohl sagte, zulächelnd.
Der Bischof geleitete Véronique bis Montégnac.
»In Trauer müßte ich diese Straße entlangpilgern,« sagte sie ihrer Mutter ins Ohr, als sie den Hügel von Saint-Léonard zu Fuß hinanstieg.
Die Alte mit dem strengen und faltigen Gesichte legte einen Finger auf ihre Lippen und wies auf den Bischof hin, der das Kind mit schrecklicher Aufmerksamkeit betrachtete. Diese Geste, besonders aber des Prälaten lichtvoller Blick, verursachten Madame Graslin etwas wie einen Schauder. Beim Anblick der unendlichen Ebenen, die ihre grauen Tücher bis vor Montégnac ausbreiteten, verloren Véroniques Augen ihr Feuer; sie wurde von Melancholie ergriffen. Dann bemerkte sie den Pfarrer, der ihr entgegenkam, und ließ ihn in den Wagen steigen.
»Das sind Ihre Domänen, Madame,« sagte Monsieur Bonnet zu ihr, indem er ihr die unbebaute Ebene zeigte.
IV
Madame Graslin in Montégnac
Nach einigen Augenblicken erschienen der Flecken Montégnac und sein Hügel; man bekam die neuen Gebäude zu Gesicht, durch die untergehende Sonne vergoldet und von der aus dem Kontrast sich ergebenden Poesie dieser hübschen Natur umflossen, die dort wie eine Oase in die Wüste hingestreut war. Madame Graslins Augen füllten sich mit Tränen; der Pfarrer zeigte ihr eine breite weiße Bahn, die wie eine Schmarre in dem Berge saß.
»Das haben meine Pfarrkinder getan, um ihrer Schloßherrin ihre Dankbarkeit zu beweisen,« sagte er auf diesen Weg hindeutend. »Wir können im Wagen zum Schlosse fahren. Die Rampe ist hergestellt worden, ohne daß sie einen Sou kostet; wir werden sie in zwei Monaten bepflanzen. Hochwürden können sich denken, was für Mühen, Sorgen und Ergebenheit es gekostet hat, um eine solche Aenderung zu bewerkstelligen.«
»Das haben sie getan!« sagte der Bischof.
»Ohne etwas dafür annehmen zu wollen, Hochwürden. Selbst die Aermsten haben mit Hand angelegt, da sie wußten, daß eine Mutter zu ihnen kam.«
Am Fuße des Berges erblickten die Reisenden alle Bewohner vereinigt, die Böllerschüsse abgaben und etliche Büchsen abschossen; dann boten die beiden hübschesten, weißgekleideten Mädchen Madame Graslin Blumensträuße und Früchte an.
»So in diesem Dorfe empfangen zu werden!« rief sie, Monsieur Bonnets Hand pressend, wie wenn sie in einen Abgrund stürzen sollte.
Die Menge begleitete den Wagen bis zum Ehrengitter. Von dort aus konnte Madame Graslin ihr Schloß, dessen Massen sie bis dahin nur erblickt hatte, ganz sehen. Bei diesem Anblick wurde sie wie von Schrecken gepackt über die Pracht ihres Wohnsitzes. Steine sind selten im Lande, Granit, auf den man im Gebirge stößt, äußerst schwer zu
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