Der Dorfpfarrer (German Edition)
Dort überraschte sie Farrabesche, der eine Art Graben betrachtete, der glauben zu machen schien, daß ein Spekulant diesen trostlosen Winkel zu erforschen versucht habe, indem er sich eingebildet, daß die Natur hier Reichtümer verborgen hätte.
»Was haben Sie?« sagte Véronique zu ihm, als sie auf diesem männlichen Gesichte einen Ausdruck tiefer Traurigkeit erblickte.
»Ich verdanke diesem Graben mein Leben, Madame, oder um mit mehr Folgerichtigkeit zu reden, die Zeit in mich zu gehen und meine Fehler in den Augen der Menschen wiedergutzumachen!«
Diese Art, das Leben zu erklären, hatte die Wirkung, Madame Graslin an den Graben zu fesseln, wo sie ihr Pferd anhielt.
»Ich versteckte mich dort, Madame. Das Terrain ist so widerhallend, daß sich, das Ohr an die Erde gelegt, auf mehr als eine Meile Entfernung die Pferde der Gendarmerie oder den Schritt der Soldaten, der etwas eigentümliches ist, hören konnte. Ich rettete mich durch den Gabou an eine Stelle, wo ich ein Pferd hatte, und legte immer zwischen mich und die zu meiner Verfolgung unterwegs waren, fünf oder sechs Meilen. Cathérine brachte mir während der Nacht Essen; wenn sie mich nicht traf, fand ich immer Brot und Wein in einem mit einem Stein bedeckten Loche.«
Diese Erinnerung an ein irrendes und strafbares Leben, die Farrabesche schaden konnte, forderte bei Madame Graslin das nachsichtigste Mitleid heraus; doch entfernte sie sich schnell nach dem Gabou hin, wohin ihr der Wächter folgte. Während sie diese Oeffnung ausmaß, durch die man das auf einer Seite so lachende, auf der anderen so zerstörte Tal, und im Hintergrunde in mehr als einer Meile Entfernung die sich abstufenden Hügel der Rückseite von Montégnac sah, sagte Farrabesche:
»In einigen Tagen wird es dort gehörige Wasserfälle geben!«
»Und im nächsten Jahre, an einem ähnlichen Tage wird dort nicht ein einziger Wassertropfen mehr durchkommen. Ich bin auf der einen und der anderen Seite auf meinem Grund und Boden und werde eine Mauer bauen lassen, die stark und hoch genug ist, um die Gewässer aufzuhalten. Statt eines Tales, das nichts einbringt, werde ich einen See von zwanzig, dreißig, vierzig oder fünfzig Fuß Tiefe in einer Ausdehnung einer Meile haben, ein ungeheures Reservoir, das mir das Wasser für die Bewässerung liefern soll, durch die ich die ganze Ebene von Montégnac fruchtbar machen will!«
»Der Herr Pfarrer hatte recht, Madame, wenn er uns sagte, als wir Ihre Straße fertigstellten: ›Ihr arbeitet für Eure Mutter!‹ Möge Gott einem derartigen Unternehmen seinen Segen geben!«
»Schweigen Sie darüber, Farrabesche,« sagte Madame Graslin. »Der Gedanke stammt von Monsieur Bonnet.«
Als Véronique nach Farrabesches Hause zurückgekommen war, nahm sie Maurice von dort mit und kehrte sofort ins Schloß zurück. Als ihre Mutter und Aline Véronique erblickten, waren sie betroffen über den Wechsel ihrer Physiognomie; die Hoffnung, dem Lande Gutes zu tun, hatte ihr wieder ein glückliches Aussehen gegeben. Madame Graslin schrieb an Grossetête, er möchte Monsieur de Granville um die völlige Freiheit des armen freigelassenen Zuchthäuslers bitten, über dessen Aufführung sie Aufschlüsse gab, die ihr durch ein Zeugnis des Bürgermeisters von Montégnac und durch einen Brief Monsieur Bonnets bestätigt wurden. Sie fügte diesem Eilbriefe auch Auskünfte über Cathérine Curieux bei und bat Grossetête, den Generalprokurator für die gute Handlung, die sie in Betracht zöge, zu interessieren, und an die Polizeipräfektur in Paris zu schreiben, um das Mädchen wiederzufinden. Der Umstand allein, daß sie Gelder in das Bagno gesandt, wo Farrabesche seine Strafe abgesessen hatte, mußte hinreichende Fingerzeige geben. Véronique wünschte zu wissen, warum Cathérine es unterlassen hatte, zu ihrem Kinde und zu Farrabesche zurückzukehren. Dann teilte sie ihrem alten Freunde noch die Entdeckungen beim Wildbache des Gabou mit und drang auf die Wahl des geschickten Mannes, um den sie bereits gebeten hatte.
Der folgende Tag war ein Sonntag und der erste seit ihrer Ankunft in Montégnac, an dem Véronique sich imstande fühlte, die Messe in der Kirche anzuhören; sie kam dorthin und nahm Platz auf der Bank, die ihr in der Jungfraukapelle gehörte. Als sie sah, wie kahl die Kirche war, nahm sie sich vor, jedes Jahr eine Summe für die Bedürfnisse des Baus und die Ausschmückung der Altäre auszuwerfen. Sie hörte die sanfte, salbungsvolle, engelgleiche Stimme
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