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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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Dörfer sind wie ausgestorben, nur noch wenige Fenster erleuchtet. Und der Nebel hat sich aufgelöst. Als sie gegen halb zwei ihr Dorf erreichen, sagt Rosa: »Das, was ich da auf der Autobahn alles gesagt habe, war reiner Schwachsinn. Tut mir leid.«
    Auch an ihrem Haus sind die Fensterflächen schwarz. Aber Maurice und Lilith haben Kerzen aufgestellt, die schwach den Weg durch den Hof beleuchten. Rosa, die die flackernden Flämmchen im Vorbeigehen eines nach dem anderen ausbläst, fällt ein, dass die Dunkelheit den Rückweg verschluckt und dass keine zehn Pferde sie dazu bewegen könnten, diese Zuflucht je wieder zu verlassen.
    Rosa schläft sofort ein, wacht aber schon vor dem Morgengrauen wieder auf. Ihr Rücken tut weh und sofort schießt ihr wieder eine Flut von Gedanken durch den Kopf, als hätten sie ihr regelrecht aufgelauert. Im Dunkeln liegend, fühlt sie sich diesem Überfall nicht gewachsen. Also streift sie sich den Morgenmantel über und tappt, ohne Licht zu machen, in die Küche. Im Widerschein einer Kerze blickt ihr Liliths Gesicht entgegen. Die junge Frau hockt am Küchentisch, eine Tasse Tee vor sich, eine Decke umgeschlungen, und schaut Rosa bekümmert an: »Du musst doch müde sein.« Die mitfühlende Stimme und der besorgte Blick rühren Rosa. Wie gern hätte sie jetzt geweint. Sie setzt sich zu Lilith und spürt, dass allein schon der Gedanke, dass sie Tränen zulassen dürfte, sie tröstet. Eine kurze Weile halten sogar ihre Gedanken still.
    »Willst du auch?« Lilith deutet auf ihren Tee.
    »Und Maurice?«
    »Pssst«, sagt Lilith und schließt kurz die Augen.
    »Shandar auch.«
    »Das ist der Freund, den du mitge… Réas Liebhaber … wird für Maurice vielleicht nicht …«
    »Ja.«
    Sie schweigen. Lilith beginnt mit Caldor und Teesieb zu hantieren; einhändig nur, denn mit der anderen spannt sie die Decke um die Schultern. Wirr fallen ihr die Haare darüber. Jede Bewegung wirkt ernsthaft und sanft, als folge sie einem Ritual. Im Kerzenlicht wirken die Muster ihrer Decke wie geheime Symbole. Dies alles sieht Rosa und ist schon wieder gerührt und verspürt plötzlich eine kleine Heiterkeit – Hoffnung, Zuversicht. Sie ist nicht allein! Diese junge Frau ist stark. Sie kann ihr vertrauen. Überhaupt vertraut sie den jungen Menschen hier im Haus. Gemeinsam würden sie größer werden und die Aufgabe kleiner …
    »Was war in der Stadt? Oder magst du nicht darüber reden?« Lilith setzt sich und schiebt ihr eine Tasse hin. Dankbar schmiegt Rosa ihre Hände darum. Die Wärme ist köstlich. Sie überlegt, was sie sagen könnte, beäugt den Tee und hofft, dass Lilith für sie entscheiden möge …
    »Oder bist du zu müde?«
    »Wenn es das nur wäre! Ich bin längst jenseits aller Müdigkeit«, seufzt Rosa. »Ich glaube bald, ich könnte tot sein und mein Kopf gäbe immer noch keine Ruhe.«
    »Dann ist es vielleicht besser, du erzählst.« Lilith lächelt. »Erzähl mir, so viel du kannst. Mach deinen Kopf frei. Mir würdest du das doch auch raten, oder etwa nicht?« Wieder lächelt sie.
    »Das würde ich, ja!«
    »Also sag schon, warum ist dieser Shandar mitgekommen?«
    »Weil … wegen … wegen Salvatore.«
    Lilith blinzelt: »Deinem früheren Liebhaber? Was um alles in der Welt hat dieser Shandar denn mit dem zu tun?«
    Rosa schüttelt unwillig den Kopf. Sie will nicht ausweichen und doch muss sie zuallererst etwas in Erfahrung bringen. »Hör mal, Lilith. Du hattest doch vor Monaten diese Begegnung mit dem komischen Kauz, der die Leute erschreckt. Angenommen, du hättest ein Handy dabeigehabt beziehungsweise daran gedacht, ein Foto zu machen – meinst du, du hättest ein brauchbares Bild von ihm hingekriegt?«
    Lilith weiß nicht, ob sie mit Lachen oder Entsetzen reagieren soll.
    »Entschuldige!«, murmelt Rosa. »Ich suche nur den Anfang. Manchmal denke ich, alles hat auf Bellinis Maskenfest angefangen. Shandar und seine Sans Papiers waren für das Büfett zuständig. Réa und Severin und Aldo, wir alle eigentlich, lernten deinen Stiefvater kennen, diesen Henry Lauterbach. Und jetzt, ein Jahr später, sitze ich hier mit dir an diesem Tisch und alles hat eine andere Farbe angenommen. Alle, fast alle von uns sind inzwischen in irgendwelche Sackgassen geraten. Oder auf Abwege. Das Chaos herrscht. Um nicht zu sagen: eine dunkle Macht.«
    Lilith hat ihre Hand auf Rosas gelegt und lächelt: »Ich habe Maurice auf diesem Fest kennengelernt.«
    »Stimmt, das auch. Und das ist tröstlich. Aber

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