Der Drache am Himmel
sonst? Réa verliebt sich in Henry. Auch schon auf dieser Party. Er weist sie ab. Sie kommt ins Schwanken, betrügt Severin. Der verliert das Gleichgewicht. Ein Mädchen stirbt. Nächste Woche wird ein Unschuldiger verurteilt. Aldo lernt auf dem Fest Henry kennen, der wird ihm ein Freund und Berater. Rät ihm, in Ghana produzieren zu lassen. Shandar, Réas neuer Liebhaber, fädelt die Kontakte ein. Aldo geht nach Ghana. Das grauenvolle Leiden der Kinder dort. Henry scheint Aldo aus der Bredouille herauszuhelfen. Doch der ist von da an außer sich. Verfolgt Shandar. Bringt dessen Leben in Gefahr. Carla verlässt ihren Mann, wenn du mich fragst, ist das nur noch eine Frage der Zeit, und das ist vermutlich überhaupt noch das Beste …«
Lilith begreift, dass Rosa nicht einfach nur so daherredet.
»Leiden? Welche Kinder leiden? Oder sprichst du von Katja, die im Fluss ertrunken ist?«
»Ja, von Katja und von Severin, dem Sohn Salvatores und einer gewissen Rosa.«
»Einer gewissen Rosa?«, echot Lilith, sekundenlang verständnislos, dann begreift sie, beißt sich auf die Lippen, kneift die Augen zu, öffnet sie wieder. Rosa weint.
»Ich mach mal die Fenster auf«, sagt Lilith mit einer mürben Stimme, die sie selbst nicht an sich kennt, »die Gerüche, die hier frühmorgens aus den Feldern steigen, die mag ich so.«
In den Bäumen hat das Morgenkonzert begonnen. Also können sie schweigen, weil sie lauschen, und Lilith fragt sich, wie viele Vögel da wohl zwitschern und trillern, weil diese Frage die unverfänglichste von allen ist, die ihr einfallen. Sie spürt Rosas erwartungsvollen Blick, weiß aber nicht, was sie sagen soll. Insgeheim hofft sie, Rosa wüsste, wie es weitergeht. Doch die schaut zum Fenster raus, wo sie auf einem nahen Ast einen Eisvogel erspäht hat, der seine blauen Schwanzfedern wippen und die Flügel zucken lässt, als wolle er gleich wegfliegen. Rosa weiß plötzlich, dass sie ihm ihre ganze Aufmerksamkeit zuwenden muss, weil es ein böses Omen wäre, seinen Abschied zu verpassen. Aber noch hockt er auf seinem Ast. Noch wippt sein Schwanz. Noch ruckelt er unentschlossen mit dem Köpfchen. Was will der hier? Uns ausspionieren vielleicht?, denkt Rosa und murmelt: »Flieg doch, flieg einfach davon.« Der Vogel bleibt sitzen, dafür entfährt Lilith ein tiefer Seufzer, dem sie die Worte nachschickt: »Was da so alles gezwitschert wird!« In diesem Augenblick flattert der blaue Vogel auf und ist weg.
Vielleicht ist das für Rosa der Anstoß: »Ich will dich doch mit meinen Katastrophen nicht belasten.«
»Ich ertrag das schon.«
»Ich hätte bei Severin bleiben sollen.«
»Bist du seinetwegen in die Stadt zurückgefahren?«
»Ja.«
»Und jetzt bist du dir sicher, dass er am Fluss …?«
»Ich habe seine Verkleidung entdeckt, seine Maske. Am schlimmsten war der Geruch. Da wusste ich es.«
»Und du hast es ihm auf den Kopf zugesagt?«
»Ja.«
»Auch das mit Salvatore, ich meine, dass er dessen Sohn ist?«
»Ja.«
Lilith streckt ihre Hand aus und streichelt Rosas Arm: »Jetzt will ich alles wissen. Erzähl. Ich kann es schon aushalten. Was ist mit Aldo, mit Ghana? Welche Kinder leiden? Seine? Fabio und Fiona?« Beide schrecken auf, weil der blaue Vogel, dessen Rückkehr ihnen entgangen ist, zum zweiten Mal davonfliegt.
Nur einmal unterbricht Rosa ihren Bericht, nämlich als Shandar auf der Suche nach der Toilette schlaftrunken aus seinem Zimmer schlurft. Sie weist ihm den Weg, Shandar grüßt Lilith mit einem verlegenen Winken. Rosa wartet, bis Shandar wieder an ihnen vorbeigekommen und hinter seiner Tür verschwunden ist, dann spricht sie weiter. Ein paarmal erkundigt sie sich noch, ob es Lilith zu viel werde. Die verneint und Rosa fährt fort, bis sie den Faden verliert, weil sie plötzlich wieder an den Eisvogel denken muss. In diese Pause hinein fragt Lilith: »Du meinst also wirklich, dass Aldo Bellini Shandar aus dem Weg räumen will? Ihn ermorden lassen? Aldo?«
»Es genügt ja schon, wenn er die Sans Papiers einschüchtert. Zumindest wird er alles tun, um den Sans Papiers den Film abzupressen.«
»Und den hast jetzt du? Hier? In deinem Zimmer?«
»Ja.«
»Wahnsinn!«, sagt Lilith. »Dann ziehen Maurice und ich eben zehn, was sage ich: hundert Kopien. Und ich gehe zu Bellini und stelle ihn zur Rede, diesen Schweinehund. Ich kündige ihm an, dass wir die Medien und die Polizei und seine Frau sowieso über seine Machenschaften informieren und dass er seine Bellini-Buden gleich
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