Der Drache am Himmel
Shandar, steht auf und verschwindet.
»Oh, Rosa«, sagt Lilith grinsend, als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen ist, »bewundernswert, was du mit einem einzigen Namen alles hinkriegst.«
»Es ist besser so. Er muss draußen bleiben, in jeder Hinsicht. Euch aber brauche ich. Ihr müsst mir helfen. Ich weiß jetzt, was ich tun muss. Doch allein schaffe ich es nicht. In diesen Tagen habe ich mich oft im Spiegel betrachtet: Alte Frau, habe ich mir gesagt, lass es sein. Dein Severin hat eine junge Frau in den Tod getrieben. Vielleicht bist du mit schuld daran, vielleicht auch nicht. Aber dein Herz blutet. Nur darum musst du dich jetzt kümmern, nur darum. Um deine Wunden musst du dich kümmern, sonst überlebst du das nicht. Aber irgendwie hatte ich den Eindruck, dass die alte Frau, die mir im Spiegel entgegenblickte, nicht meiner Meinung war. Sie schaute mich an, als wolle sie mir lauter Fragen stellen: Überleben? Wozu? Willst du bloß noch dahinvegetieren? Wenn du schon leiden musst, dann doch nicht nur trotz , sondern auch für etwas, oder nicht? Und wisst ihr was? Ich begann meine Schwester im Spiegel wieder zu mögen. Ich weiß nicht, ob sie recht hat. Aber wie sie denkt, das gefällt mir. Könnt ihr das nachvollziehen?«
»Nicht ganz. Aber ich vermute mal, du sprichst von der Suppe, in die man spucken soll«, sagt Lilith.
»Ja«, sagt Rosa.
»Aha«, brummt Maurice, der gar nichts versteht und überhaupt etwas durcheinander ist, seit Rosa ihn am Mittag eingeweiht hat. Angst wechselt mit Rachegedanken. »Man müsste halt mal gründlich aufräumen in dieser dämlichen Stadt«, entfährt ihm. Liliths verwunderten Blick quittiert er mit einem verlegenen Grinsen.
»Ach, du«, sagt sie.
»Aufräumen?«, fragt Rosa und lächelt ebenfalls. »Ich will aber gewinnen. Auch wenn alles, was ich euch jetzt gleich sagen werde, verrückt ist, so will ich doch gewinnen. Alter schützt vor Ehrgeiz nicht, ihr Lieben. Ich muss euch einen unmöglichen Plan vorstellen.« Sie kichert und schüttelt sich wie eine Irre; dann beginnt sie. Und als sie geendet hat, erinnert sich Lilith wieder an dieses Schütteln und glaubt zu verstehen: Rosa hat damit die Angst verscheucht.
»Das ist aber viel mehr als in die Suppe spucken«, flüstert Lilith nach einer gewichtigen Stille.
»Und um vieles besser«, ergänzt Maurice.
»Glaubst du?« Rosa lächelt.
»Aber es kann bös in die Hose gehen.«
»Ja, leider, Lilith.«
Rosa nickt: »Für meinen Part habe ich weniger Kummer. Mein Rendezvous mit Bellini junior steht. Und meine Erfahrungen mit dem Senior habe ich ja sowieso immer bei mir.«
»Aber warum glaubst du, dass auf Carla Verlass ist?«, will Maurice wissen.
»Am Telefon heute habe ich es ganz deutlich gespürt. Sie wird es tun, wird uns Zugang zum Firmensitz verschaffen. Mag sein, dass da auch Rache mit im Spiel ist, aber nicht nur. Sie will raus aus der Katastrophe. Sie ist endlich aufgewacht.«
»Wenn ich erst mal im Gebäude bin, ist das mit den Daten ein Kinderspiel. Notfalls nehme ich die Festplatte mit«, sagt Maurice. »Aber vor dem Abend habe ich Angst. Ich weiß nicht, ob ich Verkleidung und Maske, ob ich diese Maske ertrage und die Hitze aushalte. Rosa, bist du dir auch wirklich sicher, dass Severin sein Zeug tatsächlich rausgibt und mich richtig instruiert?«
»Er hat es mir fest versprochen, Maurice, in der Kapelle, in die Hand versprochen. Da kann er jetzt nicht mehr zurück.«
»An einem Sonntag, in zwei Tagen schon!«, seufzt Lilith. »Vielleicht wäre ein richtiger Fotoapparat besser.«
»Es darf nicht vorbereitet wirken«, sagt Rosa. »Alles muss so sein wie bei Katjas Tod. Sie werden dem überlebenden Mädchen die Fotos vorlegen. Sie ist die einzige Zeugin, die je so nahe an ihm dran war. Nur darum geht es: dass sie die Gestalt mit der bengalischen Maske als genau dieselbe identifiziert …«
»Und das sage ich euch!«, ruft Maurice. »Sobald bewiesen ist, dass der wirkliche Fiesling noch frei rumläuft, mache ich mich aus dem Staub, als wäre der Teufel hinter mir her!«
»Aber was, wenn mir die Hände zittern?«
»Du darfst bloß nie vergessen, dass ich es bin, egal, wie furchterregend. Du betätigst den Auslöser und rennst los.«
»Was ist mit Shandar?«
»Er bleibt im Haus. Hier ist er einigermaßen in Sicherheit. Aber außer Gefahr ist er erst, wenn ich Aldo im Griff habe.« Rosa räuspert sich und fügt hinzu: »Und ich werde Bellini niederringen, das schwöre ich euch. Hörst du mich,
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