Der Drache am Himmel
früh auch geht?«, gibt Rosa zurück und denkt, dass Maurice bald unterwegs sein wird und dass sie jetzt gleich noch ihre Forderung für die Sans Papiers vorlegen muss.
Maurice hatte sie ja vorgewarnt. Als Maskierter sieht er wirklich zum Fürchten aus. Aber er ist in der Zeit. Bislang scheint also alles geklappt zu haben, genau wie auch heute Morgen die Sache mit Bellinis Computer. Wie euphorisch sie anschließend aus Aldos Büro gestürzt und die Treppe runtergerannt sind … Ein wenig von dieser Hochstimmung ist Lilith den ganzen Nachmittag über geblieben. Doch seit sie hier im Park wartet, wächst ihre Anspannung wieder – und explodiert, als Maurice bei den Kastanien am Eingang zum Park auftaucht. Am Springbrunnen wird er das Feuer im Maskenkopf entzünden. Noch ist er nur eine wankende Gestalt im Zwielicht, ein lautloser Gnom ohne Identität, der sich jetzt in den Lichtkreis einer Laterne schiebt. Jäh ist die Fratze da. Nicht von Menschenhand gemacht scheint sie zu sein, sondern brutal und fleischlich, aufgedunsen und geädert. Hundertfach unheimlicher, denkt Lilith, als jener andere, dessen Verkleidung eher lächerlich gewirkt hat. Der hier ist alles andere als lächerlich, der hier entstammt wirklich einem dunklen Reich. »Zünd endlich, Maurice, zünd endlich, damit ich weiß, dass du es bist«, flüstert sie und umklammert die Kamera und wird erhört: Zwei dünne Strahlen zischen aus den Augenhöhlen, harmlos noch, doch schon springt ein Geknister an und aus den Strahlen werden blutrot sprühende Garben, die auf sie zuschießen. Lilith hat die Kamera hochgerissen und knipst und knipst und die Gestalt breitet theatralisch langsam die Arme aus – ein Geist im Glutregen, der alles höhnisch segnet, was er versengt. Nur das leistet Lilith sich noch, bevor sie davonstürzt: ein kurzes Winken, das Maurice gilt, der sich jetzt gleich in die Büsche schlagen, sich allem entledigen und auch davonmachen wird. Lilith rennt, kürzt den Weg ab, springt über eine Bank, schlägt sich durchs Geäst und erst beim Parkzaun blickt sie kurz zurück: Maurice hat wohl den Verstand verloren. Steht immer noch da! Dreht sich dann mit ausgebreiteten Armen noch einmal um seine Achse. Ach! Dass er auch immer noch einen drauflegen muss, denkt sie verärgert, springt über den Zaun und rennt los. Schaut auf die Uhr. Zu schnell darf sie nicht auf der Wache sein. Maurice muss das Gebiet verlassen haben, wenn sie Meldung macht. Die werden bestimmt sofort einen Streifenwagen losschicken. Aber wir haben es geschafft, denkt sie und drosselt ihr Tempo und keucht » We did it! We did it! « voller Verwunderung, weil sie im Grunde nie daran geglaubt hat, dass sie Rosas verrückten Plan wirklich in die Tat umsetzen würden. Auf den letzten Metern wird sie nochmals alles geben, um dann völlig außer Atem ins Polizeirevier zu stürzen. Ob Rosa wohl noch bei Aldo ist?
Aldo hat es sich demonstrativ in seinem Sessel bequem gemacht. Seine entspannte Haltung soll Rosa spüren lassen, dass er sich gefangen hat. Sein Blick ist hart. Sie soll merken, dass er den Kampf aufgenommen hat. Doch Rosa schaut ihn überhaupt nicht an, sondern holt mit provozierender Selbstverständlichkeit ein weiteres Blatt Papier aus ihrer Handtasche, faltet es auseinander und schiebt es ihm zu. Sein herrisches »Mit deinen Memos erreichst du gar nichts« kontert sie mit einer entschiedenen Erwiderung seines Blickes. Die Aggressivität darin fällt ihr zwar auf, beeindruckt sie aber nicht. Und so beginnt sie ohne Umschweife ihre zweite Forderung zu erläutern. Aber Aldo scheint gar nicht zu begreifen, worauf Rosa hinauswill.
Sie lobt den Bürgermeister als klugen Mann mit bedeutenden Kontakten auf allen Ebenen. Sie preist den dominierenden Einfluss seiner Partei in Verwaltung und Parlament, in Stadt und Land. Erwähnt die hochgeschätzten Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft im Aufsichtsrat der Création Bellini – überhaupt sei die Firma ja untrennbar mit der Stadt verbunden. »Untrennbar, Aldo! Nicht nur der Steuern und Arbeitsplätze wegen! Der gute Ruf der Stadt hängt untrennbar mit der Erfolgsgeschichte der Création Bellini zusammen und das verpflichtet. Niemand will einen Skandal. Niemand will dich in den Ruin treiben. Sonst erkundige dich beim großen Vorstand des Clubs.«
Rosas Redefluss hat Aldos Wut zum Überkochen gebracht: » Merda! Dein Gewäsch ist nichts als merda imbecile «, brüllt er, »ich weiß zwar nicht, worauf du mit diesem ganzen
Weitere Kostenlose Bücher